Im Falle von Störungen in der sprachlichen und kommunikativen Entwicklung sind oft nicht nur die sprachlichen Lernprozesse im engeren Sinne beeinträchtigt, sondern auch die kognitiven, schriftsprachlichen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die „Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung“ (AO-SF) legt in § 3 fest, dass Lern- und Entwicklungsstörungen einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung begründen können.

§ 4 unterscheidet Lern- und Entwicklungsstörungen in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und Emotionale und soziale Entwicklung und definiert in Absatz 1 allgemein sowie in Absatz 3 spezifisch:

„(1) Lern- und  Entwicklungsstörungen sind erhebliche Beeinträchtigungen im Lernen, in der Sprache sowie in der emotionalen und sozialen Entwicklung, die sich häufig  gegenseitig bedingen oder wechselseitig verstärken. Sie können zu einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in mehr als einem dieser Förderschwerpunkte führen.

[….]

(3) Ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Sprache besteht, wenn der Gebrauch der Sprache nachhaltig gestört und mit erheblichem subjektiven Störungsbewusstsein sowie Beeinträchtigungen in der Kommunikation verbunden ist und dies nicht alleine durch außerschulische Maßnahmen behoben werden kann.“

Auf die Frage nach dem typischen Schüler bzw. der typischen Schülerin mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Sprache kann man nur antworten, dass es den typischen Schüler bzw. die typische Schülerin nicht gibt. Es gibt verschiedene charakteristische Merkmale, die in ihrer Intensität und dem generellen Auftreten variieren. Allgemein ist bei Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen von einem verzögerten Erwerb des sprachlichen Regelsystems auszugehen und es sind nicht altersentsprechende Ausdrucksformen, grammatische Schwierigkeiten und Defizite im Wortschatz zu erwarten (vgl. Suchodoletz 2013, S. 11), die den produktiven und den rezeptiven Gebrauch der Sprache betreffen können (Suchodoletz 2013, S. 15-17).

Charakteristische Auffälligkeiten

Aussprache

  • Rezeptiver Sprachgebrauch: Ähnlich klingende Laute werden nicht unterschieden
  • Produktiver Sprachgebrauch: Laute werden ausgelassen oder ersetzt (ama für Mama / tomm für komm) oder fehlerhaft gebildet, insgesamt verwaschene Aussprache

Wortschatz

  • Rezeptiver Sprachgebrauch: Abstrakte oder ähnlich klingende Worte sowie Präpositionen und Pronomen werden nicht korrekt verstanden
  • Produktiver Sprachgebrauch: Wörter werden durch semantisch oder klanglich ähnliche Wörter ersetzt, Wortfindungsschwierigkeiten bei insgesamt kleinem Wortschatz

Grammatik

  • Rezeptiver Sprachgebrauch: Passivsätze, Negationen und Nebensätze werden oft nicht verstanden
  • Produktiver Sprachgebrauch: Starre Satzbaumuster, meist einfache Hauptsätze ohne Nebensätze, werden verwendet bei unzureichender Passung von Verbform und Subjekt und Fehlern bei Kasus, Genus, Plural und Partizip

Kommunikation

  • Rezeptiver Sprachgebrauch: Ironie, Witz und übertragende Rede sowie kommunikative Absichten werden nicht erkannt, ohne davon ein Bewusstsein zu haben
  • Produktiver Sprachgebrauch: Ereignisse werden sprunghaft erzählt, der innere Zusammenhang geht verloren, nonverbale Mittel werden kaum eingesetzt


Manchmal zeigen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Sprache im Schulalltag eine augenscheinlich unauffällige Spontansprache. Sie haben gelernt, ihre sprachlichen Äußerungen an ihre Fähigkeiten anzupassen. Sie kommunizieren in kurzen und einfachen Sätzen und wählen keine grammatischen Formen, die ihnen schwer fallen, vermeiden z.B. komplexe Haupt-Nebensatz-Konstruktionen (vgl. Motsch 2010, S. 154).

Im folgenden Beispiel hat die Testleiterin sich im Stuhlkreis scheinbar versehentlich auf Kekse gesetzt und anschließend soll das Kind einer anderen Fachkraft, die nicht am Stuhlkreis teilgenommen hatte, vom Geschehen berichten


Ausschnitt aus DO-Bine, 3. Klasse, Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf

01E:    Sag mal, ist da nicht gerade etwas bei euch passiert?
02K:    Ja (Zögernd).
03E:    Ja? Was denn?
04K:    (-) Kekse. (-)
05E:    Erzähl mal! Was war denn da los? Das interessiert mich!
06K:    (...) Die hat sich da drauf gesetzt. So: (Steht auf und setzt sich wieder auf den Stuhl)
07E:    Was (Erstaunt)? Wie ist das denn passiert?
08K:    Die hat sich einfach hingesetzt.
09E:    Oh nein! (-) Und wie ist es dann weitergegangen?
10K:    Erst war das mit den Erbsen.
11E:    Aha.
12K:    Die hat die in die Hand genommen. Hat die Hand reingenommen. Dann sind alle rausgeflogen die Bälle (-)
13      oder die Erbsen.
14E:    Oh nein (Lachen)! Und dann?
15K:    (--) Und danach haben wir die (-) Kekse gegessen.
16E:    Wow. Lecker. Und wie ist es dann weitergegangen?
17K:    (---) Und wir machen später ein Spiel (...). Bestimmt macht die das wieder am Ende.


Sprachverständnisstörungen festzustellen, ist im Schulalltag besonders schwierig, weil sich das Verstehen von Sprache der direkten Beobachtung entzieht – es muss aus Verhaltensweisen erschlossen werden.

Anforderungen an den Unterricht

Bei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf im Bereich Sprache und Kommunikation kann es zu besonderen Anforderungen auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen kommen, die im Unterricht allgemein und insbesondere auch im Mathematikunterricht Beachtung finden sollten:

Auf der phonetisch-phonologischen Ebene sollte bedacht werden, dass Fach- und Fremdwörter zu Artikulationsschwierigkeiten führen können und dass bei der Unterscheidung ähnlich klingender Laute bzw. Wörter im Mathematikunterricht Hürden entstehen können, was z.B. an Wortpaaren deutlich wird wie eins und keins, zwei und drei oder sechzehn und sechzig (vgl. Dierkes & Jost 2007, S. 39).

Auf der semantisch-lexikalischen Ebene sollte bedacht werden, dass zentrale Lernwörter im Mathematikunterricht häufig Fach- oder Fremdwörter sind. Diese sind nicht selten abstrakt und nur schwer zu veranschaulichen (vgl. Mußmann 2012, S. 9). Im Verlauf der Grundschulzeit müssen Schülerinnen und Schüler ca. 500 Fachwörter im Mathematikunterricht erlernen. Die Menge der zu erlernenden Wörter und der spezielle Charakter mathematischer Begriffe stellt für Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung dar.

Beim Wortlernen wird ein Begriff erworben und mit kontextuellem und semantischem Wissen und der dazugehörigen Wortform (Lexem) verbunden (vgl. Schröder 2014, S. 94). „Mathematische Begriffe unterscheiden sich von Alltagsbegriffen insofern, als sie immer schon selbst Zeichen sind und nicht für konkrete mathematische Inhalte stehen“ (Schröder 2014, S. 94). Mathematische Begriffe weisen auf sprachliche oder schriftliche Zeichen hin, die in einem bestimmten Kontext eingesetzt werden und beziehen sich auf abstrakte Beziehungen, Strukturen und Muster (vgl. Schröder 2014, S. 94).

Schwierigkeiten im auditiven Gedächtnis machen es den Schülerinnen und Schülern schwer, sich akustische Reize zu merken. Im Mathematikunterricht kommt es aber häufig vor, dass Aufgaben im Kopf gerechnet werden oder Kettenaufgaben zu lösen sind, bei denen große Zahlen im Kopf gespeichert werden müssen. Zusätzlich kann es den Lernenden schwer fallen, rein akustisch gegebene Erklärungen nachzuvollziehen und zu verstehen (vgl. Dierkes & Jost 2007, S. 39).

Auf der lexikalischen Ebene wird bei den klassischen Textaufgaben das sinnentnehmende Lesen durch den eingeschränkten Wortschatz erschwert. Es geht nicht nur um speziell mathematische Begriffe, sondern auch um Wörter, die von den Lehrkräften nicht immer als schwierig wahrgenommen werden, wie zum Beispiel „ca“, „bis zu“, „halb so viel“, „zwischen“, „etwa“, „pro“, „wie viel mehr“, „durchschnittlich“, „weiter als“ (vgl. Mayer 2007, S. 39).

Das eingeschränkte Sprachverständnis mancher Kinder kann gerade das Verständnis für Mathematik erschweren, da die Fachsprache meistens knapp und präzise ist und oft auf das Nötigste verkürzt wird (vgl. Dierkes & Jost 2007, S. 37) und da Wörter, die im Alltag eine andere Bedeutung haben, in spezieller Bedeutung verwendet werden (vgl. Ritterfeld 2013, S. 136). Warum ist die 2 eine gerade Zahl oder das Ergebnis zweier miteinander multiplizierter Zahlen ein Produkt?

„Du erhältst als Ergebnis 176, wenn du von meiner Zahl erst 230 und dann 322 subtrahierst.“

Eine Aufgabenstellung wie diese mit komplexer Nebensatzkonstruktion steht in der Gefahr, nicht das eigentliche mathematische Verständnis der Lernenden zu erkunden, sondern die sprachlichen Kompetenzen auf hohem Anforderungsniveau abzutasten (vgl. Stitzinger & Bechstein 2013, S. 221). Für viele Lernende mit dem Förderschwerpunkt Sprache kann sich ein derartig komplexer sprachlicher Input, vermittelt durch Lehrbuchtexte oder Lehrersprache, erschwerend auf das Aufgabenverständnis und die Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen auswirken (vgl. Motsch 2010, S. 151).

Bei Schülerinnen und Schülern mit dem sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf Sprache bleiben Erfolgserlebnisse und mathematisches Kompetenzerleben häufig aus und das Zutrauen in die eigenen fachlichen Fähigkeiten wird gemindert. Im Laufe der Schulzeit kann es dazu kommen, dass die Kinder zusätzlich zu den Sprachproblemen erhebliche Lernschwierigkeiten entwickeln und dass die Defizite zunehmend größer werden (vgl. Mayer 2007, S. 28). Laut Dannenbauer ist dieser Befund nicht überraschend, da die Sprache im Unterricht allgemein und auch im Mathematikunterricht das zentrale Medium der Verständigung ist und der Aneignung von Wissen ist (Dannenbauer 2004, S. 291).