Im Sinne einer den Lernprozess begleitenden Diagnostik sollten die Lehrkräfte das Augenmerk in Schulalltag und Unterricht immer wieder auf auffällige Verhaltensweisen ihrer Lernenden legen, die bereits vor der Anwendung standardisierter Testverfahren Aufschluss über mögliche Beeinträchtigungen der individuellen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten geben können.

Durch informelle und fortlaufende Beobachtung kann die Lehrperson einzelne Schülerinnen und Schüler in natürlichen Situationen wahrnehmen, die sich außerhalb von Testsituationen und deren möglichen Verzerrungen abspielen und sie kann somit eine Eingrenzung auffälliger und ggf. näher zu untersuchender Entwicklungsbereiche vornehmen. Im Zuge einer sich daran anschließenden förderungsorientierten Diagnostik lassen sich dann insbesondere vorhandene Fähigkeiten ermitteln, die eine elementare Basis für weiterführende Förderungen darstellen. Das gilt sowohl für Lernende, für die bereits sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Bereich körperliche und motorische Entwicklung festgestellt wurde, als auch präventiv für alle Schülerinnen und Schüler, die sich erkennbar auffällig verhalten.

Um Sie für die Wahrnehmung spezifischer Auffälligkeiten zu sensibilisieren, die möglicherweise im Zusammenhang mit einer Körperbehinderung i.e.S. oder i.w.S. stehen, werden im Folgenden in den relevanten Entwicklungsbereichen für den vorliegenden Förderschwerpunkt Indikatoren vorgestellt, die als spezifische Auffälligkeiten im Unterricht erkannt werden können. Um Ihre Beobachtungsfähigkeit zu schärfen, werden ergänzend Beobachtungsbereiche dargestellt, die aufschlussreiche Ansatzpunkte für eine vertiefende diagnostische Überprüfung liefern können. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Arbeiten von Leyendecker, (2005, S. 127-136) und (Mötsch, 2013/14), die aus Gründen der besseren Lesbarkeit nicht wiederholt aufgeführt und an einigen Stellen ergänzt werden.

Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass die kindliche Entwicklung in den verschiedenen relevanten Bereichen individuell sehr unterschiedlich verlaufen kann, folglich ist es ausgesprochen schwierig, eindeutige Grenzen zwischen einer alterstypischen, normalen Entwicklungsvariation und körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen zu ziehen. Die nachfolgenden diagnostischen Hinweise sind als Orientierungshilfe für die praktische Arbeit im Unterricht zu verstehen und stellen einen Wegweiser für Lehrpersonen dar.

Da körperliche Behinderungen i.e.S. fast immer bereits medizinisch diagnostiziert wurden, beziehen sich die weiteren Ausführungen verstärkt auf diagnostische Hinweise für Körperbehinderungen i.w.S., d.h. auf solche Beeinträchtigungen, die nicht auf eine körperliche Schädigung zurückzuführen sind, sondern sich primär in Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Verhaltensauffälligkeiten, die sich im Schulalltag und Unterrichtsgeschehen beobachten lassen, können jedoch für die förderungsorientierte diagnostische Überprüfung beider Erscheinungsformen von Körperbehinderungen herangezogen werden. Vor dem Hintergrund der außerordentlichen Vielfalt körperlicher und motorischer Beeinträchtigungen stellen sie allerdings lediglich mögliche Ansatzpunkte dar, die keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.


Abbildung 17: Mögliche Entwicklungsbereiche, die aufschlussreiche Indikatoren für körperliche und motorische Auffälligkeiten beinhalten können.

Die für den Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung relevanten Entwicklungsbereiche sind in Abbildung 17 dargestellt. In diesen Entwicklungsbereichen lassen sich spezifische Fähigkeiten von Kindern beobachten und für die Erstellung und Umsetzung von Förderkonzepten nutzen.

Die Grenzen zwischen den Entwicklungsbereich sind fließend und die Entwicklungsbereiche sind eng miteinander verknüpft, eine umfassende Förderdiagnostik verlangt deshalb in jedem Fall die bereichsübergreifende Betrachtung möglicher Wechselwirkungen und eine Betrachtung der Gesamtentwicklung. Daran sollten Sie denken, wenn Sie im Folgenden Ausführungen zu den Entwicklungsbereichen lesen, die der besseren Übersicht halber nacheinander behandelt werden. Eine ausführliche Darstellung möglicher Beeinträchtigungen in den relevanten Entwicklungsbereichen auf der Verhaltensebene erfolgt in Teilmodul Bedingungsfaktoren.
 

Motorik

Der Bereich der Motorik nimmt für die gesamte menschliche Entwicklung einen übergeordneten Stellenwert ein. Bewegungsfähigkeit gilt als ein Grundprinzip des Lebens, das mit allen anderen Entwicklungs-, Lern- und Leistungsbereichen verknüpft ist (Bergeest et. al., 2015, S. 240). Konsequenterweise erhält dieser Bereich auch für die Diagnostik von körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen eine vorrangige Bedeutung.

Die Diagnostik motorischer Fähigkeiten bezieht sich einerseits auf die körperliche Entwicklung, andererseits auf das individuelle Erleben des eigenen Körpers. Dazu können sowohl quantitative Untersuchungen in Form von Leistungserhebungen sowie qualitative Untersuchungen im Sinne von Verhaltensbeobachtungen und –beschreibungen erfolgen. Festgestelle Bewegungserschwernisse bieten direkte Ansatzpunkte für die Bewegungserleichterung von betroffenen Kindern und Jugendlichen. Die im weiteren Verlauf ausgeführten diagnostischen Hinweise können mit drei Verfahrensweisen erfasst werden: motometrisch, d.h. messend mithilfe standardisierter Leistungstests, motoskopisch, d.h. beschreibend und kategorisierend mittels mehr oder weniger systematischer Bewegungsbeobachtungen oder motografisch, d.h. durch eine audio-visuelle Aufzeichnung von Bewegungsabläufen (Leyendecker 2005, S. 137).

Im schulischen Kontext erweist sich eine enge Zusammenarbeit der Lehrkräfte mit Physio- und Ergotherapeuten als unerlässlich.
Das individuelle Körper- und Bewegungserleben sowie das körperliche Selbstkonzept können durch eine Einschätzung der folgenden Bereiche erfasst werden: Leistungsfähigkeit und Schwierigkeiten, Bewegungsmotivation und Aktivitätsausprägung, Sicherheit in sozialen Situationen und persönliche Erfolgserwartungen, Wissen über und Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, Einstellung zur Körperpflege sowie Bewusstheit von Anspannung und Entspannung (Bergeest et. al. 2015, S. 241).

Zur gezielten Beobachtung der motorischen Entwicklung einige Beobachtungshinweise:

Bewegungsausmaß:
  • Gehemmte Motorik: langsame motorische Reaktionen, vorsichtige Bewegungsausführungen, Bewegungsarmut
  • Hyperkinetische Störungen: verkrampfte, ungeschickte Bewegungen, unbeherrschte oder ungestüme Bewegungen, mangelhaft kontrollierte Bewegungen, häufiges Zappeln mit den Händen und Füßen, häufiges Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl
  • Dissoziative Bewegungsstörungen: beträchtlich verringerte Willkürbewegungen, Fehlen von Willkürbewegungen, vollständiger oder teilweiser Verlust der Bewegungsfähigkeit
  • Bewegungsqualität und Bewegungsfluss: Tic-Störungen (rasche, wiederholte, nicht rhythmische Bewegungen, die plötzlich einsetzen und keinem erkennbaren Zweck dienen), stereotype Bewegungsstörungen (bspw. Kopf- oder Körperschaukeln)
Allgemeine Bewegungsprobleme können sich ausdrücken durch: Gleichgewichtsprobleme, schnelle Ermüdung bei bewegungsbezogenen Aktivitäten.
 

Grobmotorik

Die Entwicklung grobmotorischer Fähigkeiten stellt sowohl für die kindliche Gesamtentwicklung als auch für die Entwicklung der Feinmotorik eines Kindes eine bedeutsame Grundlage dar. Auffälligkeiten in diesem Bereich können in allen Bewegungsfertigkeiten auftreten, die ein Mensch mit seinen Gliedmaßen, seinem Rumpf und seinem Kopf erlernen kann. Im schulischen Kontext lassen sie sich u.a. beobachten:

Haltung

Die Haltung eines Menschen wird durch das Knochengerüst sowie durch die Tonusverhältnisse der Muskulatur bestimmt.

  • Wirbelsäulenverkrümmungen (Rundrücken (Kyphose), Hohlkreuz (Lordose), seitliche Verdrehung (Skoliose)), die zu Haltungsstörungen im Schulter- und Beckengürtel führen können, Schwierigkeiten, bei verschiedenen Positionen im Stand eine symmetrische Körper- und Kopfhaltung einzunehmen, Schwierigkeiten bei einfachen Balancier-, Schreit- oder Hüpfbewegungen, Schwierigkeiten beim Einnehmen einer aufrechten Sitzhaltung
  • Handstellung: Faustschluss der Hände, Fingerkrallen, Bajonettfingerzeichen (beim Vorstrecken der Hände werden die gespreizten Zeige- und Mittelfinger zum Handrücken hin gebogen)
  • Fußstellung: falsche Fußbelastung Auffälligkeiten beim Aufsetzen des Fußes beim Gehen (bspw. zuerst mit der Ferse, den Zehenballen oder den Fußspitzen), Zehenkrallen
  • Koordination: Schwierigkeiten beim Stehen, Gehen, Laufen, Hüpfen und Springen werden besonders unter erschwerten Bedingungen sichtbar: Schwierigkeiten beim Ausüben des Einbeinstands, des Fuß-vor-Fuß-Stands, des Zehenspitzenstands bzw. des  Fußballen- oder Fersenstands, Schwierigkeiten beim Rückwärtsgehen (bspw. auf einer Linie, in besonderen Gangformen oder mit verschlossenen Augen), Schwierigkeiten beim Treppensteigen  (Auffälligkeiten bspw. in verkrampfter Körperhaltung oder ausgleichenden Bewegungen der Hände und Arme), Schwierigkeiten beim beidbeinigen, einbeinigen, vorwärts, seitwärts oder rückwärts Hüpfen bzw. Überspringen kleiner Hindernisse, Schwierigkeiten beim Hampelmann- oder Scherensprung.
 
 

Feinmotorik

Feinmotorische Fähigkeiten können insbesondere in der visuomotorischen Koordination und im Umgang mit (Unterrichts-)Materialien bei alltäglichen Verrichtungen, in Spielsituation oder beim Erlernen der Kulturtechniken beobachtet werden.

Anhand folgender Indikatoren lassen sich Auffälligkeiten erkennen:

  • Kraftdosierung: rasches Ermüden beim Schreiben,
  • Zielgenauigkeit
  • Hand-Finger-Geschicklichkeit: Schwierigkeiten beim exakten Ausmalen und Schreiben sowie beim Ausschneiden, mangelnde Zielgenauigkeit, Schwierigkeiten, einzelne Finger einer Hand in schneller Folge in Opposition zum Daumen zu bringen
  • Koordination: Schwierigkeiten bei der Hand-Hand-Koordination (bspw. hält die freie Hand das Blatt beim Schreiben nicht fest; Auffälligkeiten beim Schuhe Binden oder Anspitzen von Stiften), Vermeidung des Überkreuzens der Körpermittellinie (d.h. einseitiger Greifraum, bspw. werden bei einem mit der rechten Hand malenden Kind links liegende Stifte zunächst mit der linken Hand vor die Körpermitte gelegt und dann mit der rechten Hand gegriffen), Schwierigkeiten bei der Ausführung einander entgegengesetzter Bewegungen (bspw. gleichzeitige, schnelle Handgelenkdrehungen oder das gleichzeitige Öffnen der einen und Schließen der anderen Hand)
  • Auge-Hand-Koordination: Schwierigkeiten beim Einhalten von Begrenzungslinien beim Malen und Schreiben, Schwierigkeiten beim Einhalten von Schreibrichtungen
  • Beweglichkeit der Finger und der Handgelenke
  • Stifthaltung: Mittel- oder Ringfinger als Stütze, Stifthaltung mit der ganzen Hand oder mehreren Fingern, verkrampfte Stifthaltung, die nicht schreibende Hand ist verkrampft, Mitbewegungen im Mundbereich, häufiges Abheben des Handgelenks von der Schreibunterlage
  • Schreibdruck: zu starkes Aufdrücken (bspw. Löcher im Papier, Abbrechen der Stiftspitze), zu geringes Aufdrücken (zittriges Schriftbild), keine fließenden und dynamischen Mal- und Schreibbewegungen
  • Schriftbild: zu große oder zu kleine Buchstaben, unleserliche Schrift (Kritzelschrift), hastiges oder stockendes Schreiben, geringe Schreibmotivation
  • Schreibrichtung
 

Die folgenden Abbildungen (Leyendecker, 2005, S. 133) verdeutlichen exemplarische Auffälligkeiten in den Schriftbildern körperlich und motorisch behinderter Kinder:


Abbildung 18: Die Schriftprobe eines 6-jährigen Schülers mit Ataxie (schlaffer Muskeltonus) zeigt, dass der betroffene Schüler aufgrund einer unzureichenden Koordination und einem nicht ausreichenden Krafteinsatz Schwierigkeiten dabei hat, Buchstaben richtig zu platzieren.



Abbildung 19: Die Schriftprobe einer 13-jäihrigen Schülerin mit einer Spastik (überhöhter Muskeltonus) bildet einen erhöhten Griff- und Schreibdruck ab.



Abbildung 20: Die Schriftprobe eines 11-jährigen Schülers mit einer Athetose (wechselnder, unkontrollierbarer Muskeltonus) zeigt ein eher unordentliches Schriftbild: Die Schrift ist relativ ausfahrend und krakelig, runde Bögen gelingen nicht und die Abstände zwischen den Buchstaben und Wörtern sind unregelmäßig.
 

Wahrnehmung

Auffälligkeiten in den Wahrnehmungsfähigkeiten eines Kindes werden oftmals durch beeinträchtigte motorische Fähigkeiten hervorgerufen.

Im Unterricht zeigen sich Beeinträchtigungen eventuell in diesen Indikatoren:

  • Auge-Hand-Koordination: Schwierigkeiten beim Einhalten von Begrenzungslinien beim Malen und Schreiben, Schwierigkeiten beim Einhalten von Schreibrichtungen, Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, in der richtigen Zeile zu bleiben
  • Figur-Grund-Wahrnehmung: Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, in der richtigen Zeile zu bleiben, Schwierigkeiten beim Übertragen eines Tafelbilds in das Heft, Schwierigkeiten beim Nachzeichnen von überlappenden Formen, Schwierigkeiten bei Sortierübungen, einzelne Gegenstände aus einer Menge herauszufinden (Klassifikation von Objekten und Mengen), Schwierigkeiten bei der korrekten Erfassung von Schrift- und Zahlzeichen
  • Formkonstanz: Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung gleicher Buchstaben oder Ziffern unterschiedlicher Größe oder Lage, Schwierigkeiten beim Erkennen gleicher Formen / Gegenstände
  • Raum-Lage-Wahrnehmung: Schwierigkeiten beim Erkennen von Ähnlichkeiten, Details oder Unterschieden verschiedener Objekte, Buchstaben- oder Zahlendreher, Schwierigkeiten in der Rechts-Links-Unterscheidung
  • Raumwahrnehmung: Schwierigkeiten beim Abschätzen von Abständen, Schwierigkeiten beim Einschätzen von Größen, Unsicherheiten beim Verstehen und Umsetzen räumlicher Anweisungen, Schwierigkeiten beim Angeben räumlicher Beziehungen auf Bildern o.Ä., Schwierigkeiten bei der Orientierung auf einem Arbeitsblatt, Schwierigkeiten beim Fortsetzen einer Musterreihe
 
 

Sensorische Integration

Sensorischen Integration meint allgemein die Koordination und Interpretation von Wahrnehmungen aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten, hier vorrangig von vestibulär-propriozeptiven und taktilen Empfindungen (Wahrnehmung von Gleichgewicht, Empfindungen aus dem Körperinneren und Tastsinn). Beeinträchtigungen treten häufig als sekundäre Entwicklungserschwernisse einer primären motorischen Störung auf. Die pädagogisch-diagnostische Herausforderung im Bereich der sensorischen Integration liegt in dem Erkennen von Verhaltenssignalen, die auf nichtkompensierte Entwicklungserschwernisse der frühen Kindheit zurückzuführen sind (Bergeest et. al. 2015, S. 242).

Mögliche Hinweise auf eine Beeinträchtigung in diesem Bereich können sein:

  • übermäßige Empfindlichkeit für Berührungsreize, Bewegungen, visuelle Reize und Geräusche
  • außergewöhnlich hohes oder niedriges Maß an Aktivität
  • schwache Reaktion auf Sinnesempfindungen
  • Schwierigkeiten bei der Koordination
  • Verzögerungen der Sprachentwicklung, der motorischen Geschicklichkeit oder der Schulleistungen
  • Schwierigkeiten beim Anpassen an neue Situationen
  • Verhaltensprobleme im seelischen und sozialen Bereich
  • Schwierigkeiten, bereits verbalisierte Handlungen in konkretes Verhalten umzusetzen
  • Schwierigkeiten bei der Aufnahme, Verarbeitung sowie Umsetzung wahrgenommener Reize
 
 

Kognition / Gedächtnis

Aussagen über die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes zu treffen ist verhältnismäßig schwierig. Die Ergebnisse standardisierter Intelligenztests erlauben im Rahmen von Förderdiagnostik keine pädagogisch handlungsleitenden Aussagen. Im Unterricht können mögliche Auffälligkeiten in den kognitiven Leistungen bzw. den Gedächtnisfähigkeiten mittels Verhaltensbeobachtungen in Alltagssituationen oder mithilfe gezielter Beobachtungen in definierten Leistungssituationen erfolgen (Bergeest et. al. 2015, S. 244).

Hier mögliche Hinweise auf eingeschränkte kognitive Fähigkeiten:

  • Merkfähigkeit und Reproduktion: Schwierigkeiten beim Abrufen von Faktenwissen bzw. bereits gelerntem Wissen, Schwierigkeiten bei der Übertragung vorhandenen Wissens auf neue Zusammenhänge
  • Abstraktion; Schwierigkeiten beim anschaulich-abstrakten Denken, Schwierigkeiten beim analogen oder kausal-logischen Denken, Schwierigkeiten beim Denken in räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen, Schwierigkeiten bei der Abstraktion von Aufgaben, Schwierigkeiten bei der Strukturierung von Aufgaben und Lösungswegen
  • Visuelles Gedächtnis: Schwierigkeiten beim Nachlegen einer Reihenfolge von einfachen Symbolen aus dem Gedächtnis, Schwierigkeiten beim Nachbauen vorgelegter Formen, Schwierigkeiten beim Behalten bildlicher Darstellungen im Gedächtnis
 
 

Emotion / Motivation / Selbstkonzept

Die Emotion eines Kindes kann als Basis seiner Lern- und Entwicklungsbereitschaft angesehen werden (Bergeest et. al., 2015, S. 246). In Form der Motivation beeinflusst sie wesentlich das kindliche (Leistungs-)Verhalten. Darüber hinaus nimmt der Bereich der Emotionen einen wesentlichen Stellenwert bei den individuellen Erfahrungen mit sich selbst ein. Er wirkt sich auf das kindliche Selbstkonzept aus und prägt sowohl neue Erfahrungen als auch Erwartungen. Für die diagnostische Arbeit spielen Emotionen eine wichtige Rolle, da sie direkten Einfluss auf die pädagogische Arbeit nehmen.

Unter diagnostischen Gesichtspunkten ist Emotionalität im schulischen Rahmen nur über Empathie zugänglich. Mithilfe (gezielter) Verhaltensbeobachtungen, die besonders im Rahmen kreativer oder spielerischer Ausdrucksmöglichkeiten erfolgen können, lassen sich diagnostische Rückschlüsse auf mögliche Beeinträchtigungen ziehen. Darüber hinaus nehmen sowohl Gespräche mit dem jeweiligen Kind als auch mit dessen Eltern und Bezugspersonen über das Verhalten, über biographische Besonderheiten und die familiäre Situation diagnostische Relevanz ein.

Mögliche emotionale Auffälligkeiten zeigen sich u.a. durch:

  • Antriebslosigkeit
  • Demotivation
  • niedrige Frustrationstoleranz
  • negatives Selbstkonzept
  • geringes Selbstvertrauen in die eigenen (leistungsspezifischen) Fähigkeiten
  • Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme
  • Schwierigkeiten bei der Beziehungsgestaltung
 
 

Sprache / Kommunikation

Das Sprach- und Kommunikationsverhalten kann bei Kindern und Jugendlichen mit körperlichen und motorischen Behinderungen häufig erschwert sein. Die Beeinträchtigungen betreffen sowohl verbale und nonverbale als auch stimmliche und nichtstimmliche Ausdrucksmöglichkeiten. Erschwernisse des Ausdrucksverhaltens haben oftmals weitreichende Auswirkungen auf andere Lern- und Entwicklungsbereiche betroffener Kinder und sind deshalb sensibel zu erfassen.

In folgenden Bereichen können Auffälligkeiten beobachtet werden, die eine vertiefende diagnostische Überprüfung erfordern:

  • Körpersprache: Gestik, Mimik, Blickkontakt, Lachen, Weinen, Vegetative Symptome (bspw. Erröten, plötzliches Schwitzen etc.), Körperhaltung
  • Lautsprache: Phonetischer Bereich (Atmung, Stimmgebung, Artikulation), Phonologischer Bereich (bedeutungsdifferenzierende Verwendung von Sprachlauten / Sprachlautgruppen), Semantisch-lexikalischer Bereich (Begriffsbildung, reduzierter Wortschatz, erschwertes Sprachverständnis), Morphologisch-syntaktischer Bereich (Wort- / Satzbildung), Pragmatisch-kommunikativer Bereich (Sprechablauf, Redefluss, Gesprächsverhalten)
  • Schriftsprache: schriftliche Sprachproduktion und -rezeption
  • Mundmotorik
 
 

Hyperaktivität / Aufmerksamkeitsstörungen

Die Schülerschaft, die einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf im Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung aufweist, hat sich in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass zunehmend auch Erscheinungsformen von Hyperaktivität bzw. Aufmerksamkeitsstörungen hinzugekommen sind. Eine ausführliche Darstellung der Schülerschaft mit dem FS KME können Sie in Kapitel 4.4 im Teilmodul Bedingungsfaktoren nachlesen.

Mögliche Auffälligkeiten:

  • Kernsymptome: Konzentrationsschwierigkeiten, Unaufmerksamkeit, impulsives Verhalten (erst Handeln, dann Denken), überschießende, motorische Aktivitäten
  • Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität: Tagträumerei, langsames Arbeitstempo / Trödelei, Antriebsarmut / Demotivation
  • Sekundarsymptome: psychomotorische Entwicklungsstörungen (besonders Wahrnehmungsstörungen), motorische Koordinationsprobleme, Teilleistungsstörungen (bspw. Rechenschwäche oder Lese-Rechtschreib-Störung), Auffälligkeiten im Sozial- und Kommunikationsverhalten
 
 

Lern- und Arbeitsverhalten

Das Lern- und Arbeitsverhalten von Schülerinnen und Schülern mit einer körperlichen und motorischen Beeinträchtigung steht in engem Zusammenhang mit weiteren Entwicklungsbereichen wie bspw. der Motorik, der Wahrnehmung oder der Kognition.

Als Indikatoren für ein beeinträchtigtes Lern- und Arbeitsverhalten können folgende Aspekte dienen:

  • Konzentration: erschwerte oder nur kurzzeitige Konzentrationsfähigkeit, frühzeitige Anzeichen von Erschöpfung bei anspruchsvollen Aufgaben, langsames Abrufen abgespeicherten Wissens
  • Lern- und Verarbeitungskapazitäten: Verlangsamter Lernprozess, zum Aneignen des gleichen Lernstoffs wird verhältnismäßig mehr Zeit benötigt, Schwierigkeiten bei der eigenständigen Erfassung von Arbeitsaufträgen
  • Motivation: niedrige Frustrationstoleranz, niedrige Ausdauer, geringe Lernbereitschaft
  • Visuelle Aufmerksamkeitsspanne: leichte Ablenkbarkeit durch visuelle Reize, Schwierigkeiten bei der längeren Betrachtung eines Bildes / Gegenstands, Überforderung bei überladenen und umfangreich gestalteten Arbeitsblättern
  • Struktur am Arbeitsplatz: Schwierigkeiten bei der Strukturierung von Aufgaben und Lösungswegen
  • Umgang mit Heften, Ordnern, Arbeitsmaterialien: häufig fehlendes Material, stark verschmutzte oder beschädigte Materialien, fehlende Ordnung im Schulranzen, unstrukturierte Anordnung der Materialien auf oder unter dem Tisch
 
 
Neben den hier aufgeführten diagnostischen Beobachtungshinweisen können weitere Auffälligkeiten in den für den sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf körperliche und motorische Entwicklung relevanten Förderbereichen (s. Abbildung 5) weitere aufschlussreiche Anhaltspunkte für mögliche Verhaltensauffälligkeiten geben. Diese können möglicherweise im Zusammenhang mit einer körperlichen und motorischen Beeinträchtigung stehen und eine gezielte diagnostische Untersuchung und Förderung erfordern.


Im Teilmodul Bedingungsfaktoren und charakteristische Merkmale werden mögliche Verhaltensbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit Körperbehinderungen aufgezeigt, die sich direkt auf den Mathematikunterricht auswirken können. Aus fachspezifischer Sicht dienen diese Merkmale selbstverständlich auch als Beobachtungsindikatoren, um betroffene Kinder in Bezug auf eine mögliche körperliche und motorische Beeinträchtigung zu diagnostizieren.


Eine ausführliche Zusammenstellung praxisbezogener Informationen zu verschiedenen Arbeits- und Entwicklungsfeldern bieten die „Sonderpädagogischen Bausteine“ von Mötsch (2013/14) „Aus der Praxis für die Praxis.“ Die Bausteine sind von Lehrpersonen erstellt und von Ruth Maria Mötsch zusammengestellt worden. Aufgeteilt nach Entwicklungsbereichen (z.B. Lernen und Leisten, Motorik, Sprache und Sprechen) finden Sie Informationen zu Testverfahren, zur Beratung sowie Fördervorschläge und weitere Quellenhinweise:
Mötsch, R. M. (2013/2014). Sonderpädagogische Bausteine. Diagnostik, Beratung, Förderung (6. überarbeitete und aktualisierte Auflage). Regensburg: Sonderpädagogisches Förderzentrum Jakob-Muth-Schule.
Weitere Informationen finden Sie unter http://sfz-regensburg.by.lo-net2.de/ruthmariamoetsch/.ws_gen/