Bedeutung und Besonderheiten des Zahlenrechnens

Bedeutung

Den Aufgaben und Zielsetzungen des Lehrplans für die Grundschule gerecht wird der Mathematikunterricht dann, wenn das Lernen von Mathematik „durchgängig als konstruktiver, entdeckender Prozess verstanden wird“ (MSW NRW 2008, S. 55).

Gegenüber den schriftlichen Rechenverfahren, bei denen es eher um das Abarbeiten einer festgelegten Abfolge von Schritten geht, liegen die Vorteile des Zahlenrechnens in der impliziten Anforderung, Zahlbeziehungen und Rechengesetze geschickt zu nutzen, eigene Darstellungen für Rechenwege zu finden und über Zahlen, Zahlbeziehungen und – zusammenhänge sowie verschiedene Rechenwege und Vorgehensweisen nachzudenken und zu sprechen.

Ein solch verstehens- und kommunikationsorientiertes Arbeiten ist wichtig für alle Schülerinnen und Schüler. Aber insbesondere Kinder mit Lernschwierigkeiten profitieren von einem Unterricht, der Verständnis und Einsicht in den Mittelpunkt stellt, denn „nachhaltiges Lernen muss sich gerade für die schwächeren Lernenden konsequent am Aufbau von Verständnis orientieren [...]“ (Prediger et al. 2014, S. 7).

Besonderheiten

Charakteristisch für das Rechnen mit Zahlen ist das Operieren mit Zahlganzheiten: Schwierige und komplexe Aufgaben werden in leichtere Teilaufgaben zerlegt und unter Verwendung von Zahlbeziehungen, Rechengesetzen und Rechenvorteilen gelöst.

Dabei sollten die Schülerinnen und Schüler zunächst eigene Rechenwege entwickeln. 

Für den Mathematikunterricht bedeutet das, dass den Kindern ausreichend Zeit eingeräumt werden muss, um selbständig zu überlegen, wie eine Aufgabe – auf der Grundlage von Zahlbeziehungen und Rechengesetzen – gelöst werden kann.

Damit eigene Ideen umgesetzt und Vorgehensweisen bzw. mögliche Rechenwege geplant, entwickelt und dargestellt werden können, ist hier der Einsatz von Materialien und Darstellungsmitteln fundamental.

Weitere Informationen hierzu sowie ausführliche Hinweise zur Arbeit im Unterricht finden sie im zweiten Modul des Hintergrundes: Rechenwege.

Analysiert man mögliche Vorgehensweisen und Rechenwege, dann können verschiedene, den Rechenwegen zu Grunde liegende Strategien unterschieden werden.

In Bezug auf die Subtraktion lassen sich die folgenden Hauptstrategien voneinander abgrenzen (in Anlehnung an Wittmann & Müller 1993, S. 87; Selter 2000, S. 231):

Hauptstrategien des Zahlenrechnens (Subtraktion):

Aufgabe: 496 — 198


Schrittweise (Der Subtrahend wird zerlegt)

Lea

Lea subtrahiert in einem ersten Schritt direkt 190. Von dem Ergebnis 306 muss sie nun noch 8 abziehen. Sie zerlegt die 8 in 6 und 2 und zieht beide Zahlen nacheinander ab.

Schülerlösung: „496 minus 198 =“, darunter „496 minus 190 = 306, 306 minus 6 minus 2 = 298“.
Abb. 1

Stellenwerte extra

Rico

Rico rechnet zuerst 400 minus 100. Dann rechnet er 90 minus 90 und anschließend notiert er 6 — 8. D. h. er muss nun einen Hunderter (Zehner) anbrechen.

Schülerlösung: „496 minus 198 = 298“, darunter „400 minus 100 = 300, 90 minus 90 = 0, 6 minus 8 = minus 2“.
Abb. 2

Hilfsaufgabe

Yusuf

Yusuf rechnet am Rechenstrich zunächst eine einfachere Aufgabe. Statt 198 zieht er 200 ab. Das ergibt 296. Dann zeichnet er einen zweiten Bogen, an den er „+2“ schreibt und erhält 298. D. h. er addiert zu 296 noch 2 hinzu, da er zu Beginn 2 zuviel abgezogen hatte (200 statt 198).

Schülerlösung: Rechenstrich mit den Zahlen 296, 298 und 406. Von 406 großer Bogen nach links zur Zahl 296, markiert mit „minus 200“. Von 296 kleiner Bogen nach rechts zur Zahl 298, markiert mit „+ 2“.
Abb. 3

Vereinfachen (Konstanz der Differenz)

Marla

Marla vergrößert den Minuenden und den Subtrahenden um die gleiche Zahl. Die Differenz ändert sich nicht.

Schülerlösung: „496 minus 198 = 298“, darunter „498 minus 200 = 298“.
Abb. 4

Ergänzen

Tami

Tami weiß, dass sie Differenzen auch durch Ergänzen ermitteln kann. Ausgehend vom Subtrahenden 198 ergänzt sie am Rechenstrich zunächst 2 und dann noch 296. Insgesamt ergänzt sie somit 298. 

Schülerlösung: Rechenstrich mit den Zahlen 198, 200 und 496. Die Zahlen sind mit Bögen miteinander verbunden und mit „+ 2“ und „+ 296“ markiert.
Abb. 5

Da – unabhängig von der Rechenoperation – beim halbschriftlichen Rechnen keine konkreten Vorgehensweisen festgelegt sind, lassen sich nicht alle Rechenwege, die Kinder im Unterricht zeigen, hier problemlos einordnen – immer wieder gibt es Mischformen oder auch individuelle z. T. sehr komplexe Vorgehensweisen (vgl. hierzu auch KIRA: halbschriftliche Subtraktion).


Mischform (Stellenwerte extra und Schrittweise)

Sibel

Sibel schaut zunächst auf die Hunderter und rechnet 400 minus 100. Anschließend rechnet sie noch 396 minus 98 schrittweise. Als Ergebnis erhält sie 298.

Schülerlösung: „496 minus 198 = 298“, darunter „400 minus 100 = 300, 396 minus 90 = 306, 306 minus 8 = 298“.
Abb. 6
 

Auch die Art der Darstellung eines Rechenweges (am Rechenstrich, als Zeichnung, symbolisch, mit Material, ...) ist beim Zahlenrechnen nicht vorgegeben.

Darüber hinaus sollten die Kinder – beispielsweise bei der symbolischen Notation eines Rechenweges - selbständig bestimmen dürfen, ob überhaupt und welche Teilschritte ihrer Rechnung sie notieren, denn diese stellen lediglich eine Merkhilfe dar.

Eine Strategie – verschiedene Darstellungen

Strategie "Schrittweise" / Aufgabe 64 — 39


Animierte Bildabfolge: Schrittweises Rechnen der Aufgabe 64 minus 39 mit Dienes-Material. 1. 6 Zehnerstangen, 4 Einerwürfel, 3 Zehnerstangen werden weggenommen, daneben Notation 64 minus 30 = 34“, 2. Notation „34 minus 9 = 25“ wird ergänzt, 4 Einerwürfel werden weggenommen, aus unterster Zehnerstange werden 10 Einerwürfel, 5 Einerwürfel werden weggenommen.
Abb. 7

Rike

Rike nutzt das Dienes–Material und nimmt zunächst 3 Zehner weg. Um dann noch 9 Einer wegnehmen zu können, muss sie einen Zehner in 10 Einer umtauschen.


6 Striche untereinander. Der 6. Strich ist zur Hälfte mit 4 Vierecken besetzt. Darunter weitere 4 Vierecke. Die ersten drei Striche und alle Vierecke sind rot markiert.
Abb. 8

Calvin

Calvin zeichnet die Zahl 64. Zuerst deckt er 3 Zehner ab, anschließend 4 Einer. Calvin weiß, dass 1 Zehner aus 10 Einern besteht. Er deckt noch 5 Einer ab (Teil des Zehners).


Schülerlösung: „64 minus 39 = 25“, darunter „64 minus 30 = 34, 34 minus 9 = 25“.
Abb. 9

Sara

Sara verwendet mathematische Symbole, um ihre Rechnung zu notieren. Sie schreibt ihre Teilrechnungen untereinander.


Schülerlösung: „64 minus 39 = 25“, darunter nebeneinander „34, 30, 25“.
Abb. 10

Tobias

Tobia nutzt – wie Sara – mathematische Symbole, um seine Rechnung zu notieren. Er notiert allerdings ausschließlich die Ergebnisse seiner Teilrechnungen.


Schülerlösung: Rechenstrich mit den Zahlen 25, 34 und 64. Von 64 ausgehend Pfeil zur 34, markiert mit „minus 30“. Von dort ausgehend Pfeil nach links, markiert mit „minus 4“. Von dort ausgehend Pfeil zur 25, markiert mit „minus 5“.
Abb. 11

Lutz

Lutz nutzt den Rechenstrich, um die Aufgabe in Teilschritte zu zerlegen. Wie Sara verwendet er mathematische Symbole.


Zeichnung eines Jungen mit Sprechblase: „Ich rechne zuerst vierundsechzig minus dreißig. Das ist vierunddreißig. Von vierunddreißig muss ich dann noch neun abziehen. Zuerst ziehe ich fünf ab und dann vier. Das Ergebnis der Aufgabe ist fünfundzwanzig.“
Abb. 12

Rico

Rico verbalisiert seine Vorgehensweise (sprachliche Symbole).