Moderation von Plenumsdiskussionen

„Mathematische Gespräche oder Diskurse unter den Lernenden anzuregen und aufrecht zu erhalten, ist keine leichte Aufgabe – weder für die Lehrperson in ihrer Moderatorenrolle, noch für die Kinder, die eine stärker selbstgesteuerte Kommunikation auch erst noch lernen müssen und dazu Anspruch auf eine professionelle Begleitung durch die Lehrperson haben.“

(Krauthausen & Scherer, 2014, 82)

Grundsätzlich besteht die Aufgabe der Lehrkraft darin, die „individuellen Konzepte der Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und zu ihrer Diskussion, Begründung und Überprüfung zu ermuntern“ (ebd., 86).

In Anlehnung an Krauthausen und Scherer (2014), Schütte (2002) und Götze (2007) werden hierzu im Folgenden einige Ansätze zusammengestellt, die sowohl den gemeinsamen Austausch im Klassenverband anregen und aufrecht erhalten sollen, als auch die Lernenden darin unterstützen sollen, sich gegenseitig zu verstehen.

Ein vielfältiges Fragen- und Impuls-Repertoire bereithalten:

Mit der richtigen Frage- und Impulstechnik der Lehrperson kann der Diskurs belebt und inhaltlich vertieft werden, wobei auf suggestive oder offenkundig unechte Fragen verzichtet werden sollte, da diese eher den „Lerngehorsam“ der Kinder fördert und diese dann versuchen herauszufinden, was die Lehrkraft wohl hören möchte (vgl. Krauthausen & Scherer, 2014, 82). Vielmehr sollte mit authentischem Interesse versucht werden, Antworten auf die folgenden Fragen zu erhalten (vgl. Schütte, 2002):

  • Welche Vorstellungen verbindet das Kind mit einem Sachverhalt? Welches mathematische Potential steckt darin?
  • Wie geht das Kind inhaltlich und strategisch vor?
  • Wie begründet das Kind sein Vorgehen?
  • Welche Darstellungsweisen wählt das Kind von sich aus?
  • Welche Schwierigkeiten zeigen sich bei der Lösung einer Aufgabe?

Außerdem können Impulse die Lernenden zum Weiterdenken anregen, oder sogar neue, andersartige Denkprozesse initiieren. In Anlehnung an Schütte (ebd., 18) sind hier einige Beispiele zusammengestellt:

  • Wer hat deiner Meinung nach Recht und warum? Wie kannst du sicher sein, dass du alle Möglichkeiten gefunden hast? (Impulse, die sachliche Begründungen anregen)
  • Wie rechnest du am liebsten / sichersten / schnellsten? Gibt es einen kürzeren Weg? An welcher Stelle schleichen sich schnell Fehler ein? Was klappt bei deinem Vorgehen gut? (Impulse, die zum Reflektieren des eigenen Lösungsweges anregen)
  • Was hat sich Felix wohl gedacht? Kannst du genauso rechnen, wie Felix? Erkläre, wie Lisa vorgegangen ist. Was hat sie schon verstanden? (Impulse, die zum Verständnis anderer Lösungswege führen)
  • Was wäre, wenn … (Variation von Zahlen bei bekannten Aufgaben)? (Impulse, die anregen Hypothesen zu bilden und Vorhersagen zu treffen)
  • Wie könnten wir diesen Haufen Klötzchen am besten zählen? (Impulse, die zum Entwickeln eines Lösungsplans führen)
  • Was fällt dir auf?  Welche Muster kannst du entdecken? (Impulse, die Entdeckungen anregen)

Grundsätzlich lohnt es sich, wenn die Lehrkraft Impulse je nach Situation gezielt auswählt – idealerweise ein Impuls je Situation. Das bedeutet auch, dass mehrere Fragen hintereinander vermieden werden sollten, damit die Kinder sich ganz auf einen Aspekt konzentrieren können.

Denkpausen ermöglichen:

Zu einem konstruktiven Diskursverhalten gehören auch Denkpausen (vgl. Krauthausen & Scherer, 2014; Schütte 2002). Hiermit sind keine Pausen vom Denken gemeint, sondern Pausen zum Denken. Besonders im Anschluss an eine Frage oder nachdem ein Impuls gegeben wurde, kann es für die Lehrkraft schwierig sein, sich durch das Schweigen der Lernenden nicht verunsichern zu lassen und die Stille „auszuhalten“, obwohl sie gerade dann am wichtigsten wäre. „Kurze Momente der Stille – sei es durch sprachloses Staunen, durch Überraschung, durch Stutzen, durch Skepsis usw. bedingt – [sollten] erfahrbar werden und zwar als produktive Momente, nicht als peinliche Leere, die es schnellstmöglich zu füllen gilt“ (Krauthausen & Scherer, 2014, 203).

Kinder in ihrer eigenen Sprache sprechen lassen:

Häufig klingen Beiträge von Kindern durch die Ohren von Erwachsenen unstrukturiert und diffus (vgl. Götze, 2007). Unabhängig davon, ob die Lernenden die Beiträge ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler verstehen (was sie häufig tun), ist es problematisch, dass Lehrkräfte dazu tendieren, solche Beiträge sofort zu unterbrechen und zu strukturieren („Zuerst hast du … gemacht, dann hast du…“). Erstens werden Nachfragen der Mitschülerinnen und Mitschüler unterbunden, die auf Verständnis abzielen und dadurch das so wichtige „Bemühen um wechselseitiges Verstehen und Verstanden werden“ (Bauersfeld, 2002, 10) verhindert. Zweitens werden die Kinder versuchen, sich in Zukunft auch möglichst „erwachsen“ und strukturiert auszudrücken, wodurch fruchtbare Interaktion erschwert wird, da die Lernenden dann dazu tendieren, in ungleiche Rollen zu fallen: ein Kind trägt die Lösung vor, während die anderen Kinder sich gänzlich passiv verhalten und abwarten, bis sie dran sind, ohne aber in direkten Austausch mit ihren Vorrednerinnen und Vorrednern zu gehen (vgl. Götze, 2007). Die Bezugnahme auf die Beiträge der Mitschülerinnen und Mitschüler sollte immer wieder angeregt werden, beispielsweise durch Gesprächsregeln oder Impulsfragen.

Dennoch kann und sollte die Lehrkraft auf eine korrekte und genaue Nutzung von mathematischen Begriffen achten, wenn diese – bspw. in einem Klassenwortspeicher – eingeführt wurden. Ist dies noch nicht der Fall, sollte die Bedeutung von mathematischen Begriffen oder Aussagen bewusst zur Diskussion gestellt werden, um den Klassenwortspeicher zu erweitern / zu aktualisieren.

Paraphrasieren von Beiträgen anregen:

Wenn Kinder die Ideen, Lösungswege etc. ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler mit eigenen Worten ausdrücken, führt dies in vielen Fällen zu mehr Einsicht (vgl. Götze, 2007). „Meist hören die Kinder erst eine gewisse Zeit den Erläuterungen ihrer Mitschüler zu, versuchen den Gedankengängen zu folgen und wiederholen dann nochmal laut, wie sie es verstanden haben. Oder sie paraphrasieren, was sie bisher verstanden haben und formulieren gleichzeitig eine gezielte Nachfrage (z. B. ‚Aber ihr habt am Anfang gesagt, ihr habt alles zusammen geschmissen. Aber was habt ihr zusammen geschmissen?‘)“ (ebd., 126). Genau dieses Rückversichern sollte von der Lehrkraft immer wieder durch Nachfragen und Impulse angeregt werden.

Fehler ansprechen:

Gerade die Thematisierung falscher Lösungswege kann zu einer „fruchtbaren und intensiven sozialen Interaktion“ (Götze, 2007, 138) führen. Im besten Fall erkennen die Gruppenmitglieder von selbst den Fehler und setzen sich mit ihm produktiv auseinander (siehe hierzu auch „Fehler produktiv nutzen“). Andernfalls ist es Aufgabe der Lehrkraft – wiederum durch entsprechende Impulse – eine Auseinandersetzung zu initiieren. Hierfür eignen sich besonders Fragen, die einen kognitiven Konflikt bei den Lernenden auslösen (z.B. „Mit diesen Startzahlen komme ich zu einem anderen Ergebnis. Wie kann das sein?“).

Gerade in Plenumssituationen muss darauf geachtet werden, dass alle Beteiligten wertschätzend und verständnisvoll miteinander umgehen. Nicht selten basieren Fehler auf Fehlvorstellungen, von deren Thematisierung die Klasse profitieren kann. Dieser Aspekt sollte, wo immer möglich, hervorgehoben werden (z.B. „Dank … haben wir gemerkt, dass unser Wortspeicher noch verbessert werden muss!“). Da außerdem „in der Regel jedes Kind [zunächst] überzeugt von der Korrektheit seiner Lösung ist“ (ebd., 158), spielt das Begründen und Argumentieren seiner Mitschülerinnen und Mitschüler eine wichtige Rolle. Je überzeugender diese sind, desto eher können Fehlvorstellungen überwunden werden. Begründungen sollten deshalb von der Lehrkraft immer wieder eingefordert werden.  

Gesprächsregeln für mathematische (Fach-) Gespräche

Genau so, wie es allgemeine Gesprächsregeln gibt (z.B. bei „PIKAS: So gelingen unsere Gespräche“ (PIKAS: Haus 8: Guter Unterricht – Unterrichtsmaterial – Kommunikation fördern ), wäre es auch denkbar, Gesprächsregeln für mathematische Fachgespräche – und um nichts anderes handelt es sich ja beim gemeinsamen Austausch – zu vereinbaren. Die von Krauthausen und Scherer (2014, 71f) formulierten Regeln haben vor allem die Funktion, dass sich die Lernenden in ihren Äußerungen inhaltlich immer wieder auf die Beiträge ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler beziehen: 

  • „Ständige Rückversicherung, ob ich den anderen richtig verstanden habe […]: Das impliziert, sich immer wieder auf den anderen zu beziehen und nicht nur einfach die eigene Meinung daneben zu stellen. […]
  • Nicht bei Nebensächlichkeiten aufhalten, sondern zum Kern der gegenteiligen Meinung vordringen: Stillschweigende oder unbewusste Themenwechsel, bevor ein Argument ausdiskutiert wurde, können ein Gespräch ins Leere laufen lassen […].
  • Versuchen, die Auffassung des anderen empathisch nachzuvollziehen […].
  • So klar wie möglich formulieren, aber kein Ergebnis erzwingen wollen: Insbesondere bei abweichenden Positionen wäre es zu ungeduldig, vom anderen einen sofortigen oder abrupten Meinungswechsel zu erwarten […]“ (ebd.).

 In Schülersprache formuliert könnte ein entsprechendes Gesprächsregelplakat folgendermaßen aussehen:

Gesprächsregelplakat. Regel 1: „Ich frage nach, ob ich meine Mitschüler richtig verstanden habe.“ Regel 2: „Ich erkläre nur das Wichtigste! Wichtig ist zum Beispiel das, was ich anders sehe als die anderen.“ Regel 3: „Ich versuche, „durch die Brille“ meiner Mitschüler zu sehen und mich in sie hineinzuversetzen.“ Regel 4: Ich vertrete meine Meinung, aber lasse auch andere Meinungen zu.“

Methoden des gemeinsamen Austauschs

Die Methode „Mathekonferenz“

Zu der Methode „Mathekonferenz“ (Götze, 2008) findet sich bei PIK AS umfangreiches Material und Erklärungen, so dass an dieser Stelle verwiesen wird auf:

PIKAS: Haus 8: Guter Unterricht – Unterrichtsmaterial – Mathekonferenzen

PIKAS: Infopapier_MathekonferenzenPIKAS: Plakat_Mathekonferenzen

Das folgende Praxisbeispiel von Marvin Born illustriert, wie eine Umsetzung im Unterricht organisiert und differenziert werden kann.

Beispielhafte Organisation der "Mathekonferenz":

  • fester Platz im Klassenzimmer, welcher als "Haltestelle" gekennzeichnet ist
  • lose Verteilung der Klammern vor dem Bus, pro Busfenster dürfen drei Klammern angeklemmt werden
  • dabei Auffüllen der Busfenster von links, um Absprachen zu vermeiden -> die Gruppenfindung richtet sich folglich nach dem Lerntempo
  • Verteilung der Arbeitsmaterialien im Raum mit den Nummern der Busfenster versehen, um ein sofortiges Auffinden des Konferenzplatzes zu gewährleisten.

Differenzierungsmöglichkeiten:

  • Reservierung einiger Busfenster für die Reduktion der Gruppengröße auf zum Beispiel zwei Kinder möglich
  • insgesamt flexibler Umgang mit den Gruppengrößen
  • Festlegung fester Gruppen über längere Zeiträume

Die Methode „Erfinderrunde“

„Erfinderrunden“ (Schütte, 2008, 172) stellen eine Möglichkeit dar, gemeinsamen Austausch anzuregen, in dem zunächst ganz bewusst darauf verzichtet wird, den Urheber einer Idee zu Wort kommen zu lassen. Auf diese Weise werden die Mitschülerinnen und Mitschüler animiert, sich in diesen hinein zu versetzen (siehe hierzu auch „Verständnis entwickeln“ im Teilmodul „Andere verstehen“).

Bei der Erfinderrunde zeigen sich die Kinder ihre mathematischen Ideen, Lösungswege oder Lösungen – ihre Erfindungen – nur durch Darstellungen derselben, die sie bspw. an die Tafel hängen. Dabei können sich alle Kinder zur jeweils betrachteten Erfindung äußern und spekulieren, was der „Erfinder“ wohl gemeint hat. Dieser kommt erst am Schluss selbst zu Wort (vgl. ebd.). „Dies ist eine sehr effektive Übung im Sich-Eindenken in andere Darstellungen und im Sprechen über Aufgaben“ (ebd.). In einer anschließenden Arbeitsphase können die „Erfindungen“ der anderen übernommen oder weiterentwickelt werden.