Immer wieder ergibt sich im Mathematikunterricht die Situation, dass bei der Durchsicht von schriftlichen Schülerdokumenten offene Fragen bezüglich des Vorgehens der Lernenden entstehen. Hinter vermeintlich „falschen“ Ergebnissen können durchaus sinnvolle Ansätze verborgen sein, über welche allein das Kind Auskunft geben kann. Das Kinderdokument (Abb. 1), welches aus einer Standortbestimmung mit dem Schwerpunkt „Operationsvorstellungen der Subtraktion“ entstammt, verdeutlicht genau dies:

Ausschnitt aus Arbeitsblatt. Aufgabe 15 minus 7 =. Schülerlösung: 9, darunter „Ich rechne so“ mit Platz zum Schreiben. Schülerlösung: „15 minus 7“.
Abbildung 1

Die Rechnung von Melina (Abb. 1) gibt keinen Aufschluss darüber, wie sie auf ihr Ergebnis gekommen ist. Die Lehrkraft kann sich demzufolge nicht sicher sein, welche Kompetenzen Melina im Bereich der Subtraktion schon entwickeln konnte, weshalb sie in einem Diagnosegespräch genauer nach der Vorgehensweise der Schülerin fragt. Aufgrund des Unterstützungsbedarfes von Melina (Förderschwerpunkt Sprache) wird insbesondere auf eine deutliche Artikulation geachtet:

„Rechenweg Melina"

 

Das Analysieren des schriftlichen Dokumentes reicht an dieser Stelle nicht aus, um Melinas mathematische Kompetenzen zu erkennen. Da sie ihren Rechenweg nicht ausführlich darlegt, könnte vermutet werden, dass sie keine Subtraktionsstrategie anwendet, sondern lediglich zählend rechnet und sich verzählt hat (15, 14, 13, 12, 11, 10, 9). Aus kompetenzorientierter Sichtweise betrachtet, zeigt sich im Diagnosegespräch aber, dass schon grundlegende Fähigkeiten wie das Nutzen der „Kraft der Fünf“, das Weiterzählen oder das Zerlegen von Zahlen (hier 7 in 5 und 2) vorhanden sind und Melina zumindest beim Nutzen von Material nicht mehr nur beim Zählen verhaftet bleibt.
Zudem zeichnen sich die Schwierigkeiten, wie beispielsweise beim Rechnen mit Zehnerübergang oder bei der Rolle des Anfangs- und Endglieds, genauer ab (sog. „+/- Zählfehler“, d.h. 10-2 wird mit Zählung des Minuenden gezählt: „10, 9, Lösung 9“). Ferner zeigt der Einsatz des Materials im Diagnosegespräch, dass Melina möglicherweise eine materialgestützte Förderung helfen könnte.
Warum es in Situationen wie diesen nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist, Diagnose- sowie Fördergespräche mit den Lernenden zu führen, wird auf den folgenden Seiten konkreter erläutert.