Die Schaffung diagnose- und fördergünstiger Lernanlässe wird durch verschiedene Gelingensfaktoren bedingt. Dabei sind differenzierte Gegebenheiten (z.B.: die Möglichkeit des Team-Teachings) sowie Entscheidungen in verschiedensten Bereichen von Bedeutung. Dies sind unter anderem Anregungen zur Klassenzimmergestaltung, der methodischen Umsetzung aber auch der inhaltlichen Auswahl und der Aufbereitung von Aufgaben (
siehe auch: Aufgaben adaptieren). Darüber hinaus gilt es sich Fragen bezüglich der eigenen pädagogischen Haltung
(siehe auch: Diagnose- und Fördermomente) und der organisatorischen Gestaltung einer Unterrichtsstunde zu stellen. Der zuletzt genannte Aspekt wird im Folgenden genauer beleuchtet.
Die Organisation von Lehr- und Lernsituationen ist im schulischen Alltag durch eine beträchtliche Vielfalt gekennzeichnet und abhängig von verschiedenen Faktoren. Wocken (1998) unterscheidet zwischen vier verschiedenen Grundformen gemeinsamer Lernsituationen (zwei werden durch Unterkategorien ergänzt), deren variierender Einsatz eine Balance zwischen individuellen und gemeinsamen Unterrichtssituationen schaffen sollen.
Die obige Aufführung der verschiedenen Lernsituationen gibt einen Überblick über die Möglichkeiten der grundlegenden Organisation gemeinsamer Lernanlässe, welche alle Momente der individuellen Diagnose und Förderung bieten und hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichtes ihre Berechtigung finden. Leitendes Kriterium für die Auswahl der Lernsituation bildet dabei das verfolgte Ziel einer Einheit. Die folgenden Anführungen konkretisieren das kooperative Lernen und verdeutlichen, wie eine möglichst diagnose- und fördergünstige Unterrichtsstunde am gemeinsamen Gegenstand gestaltet werden kann.
Das Schaubild dient dabei der Darstellung einer möglichen Unterrichtsstrukturierung gemäß des Leitgedankens des Kooperativen Lernens vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Lerngegenstandes bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Phasen des selbständigen Lernens.
Die Abbildung zeigt eine mögliche Einteilung einer Unterrichtsstunde in verschiedene Phasen. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass es sich keineswegs um ein statisches Konstrukt der einzelnen Phasen handelt, die im Gleichschritt von den einzelnen Lernenden durchgangen werden müssen. Es soll vielmehr ein flexibles und dynamisches Vorgehen dargestellt werden, welches durch eine methodische Offenheit, wie den individuellen Phasenwechsel, gekennzeichnet ist. Eine solche Unterrichtsorganisation verfolgt unter anderem das Ziel, der Lehrperson eine möglichst hohe Anzahl an Freiräumen zu schaffen, in denen individuelle Diagnose- und Fördermomente genutzt werden können. Die derartige Planung stellt eine Herausforderung dar, die durch verschiedenste Maßnahmen unterstützt werden kann, welche im Bereich Unterricht themenbezogen konkretisiert werden. Kennzeichnend für die aufgeführte Strukturierung ist das Aufgreifen einzelner Elemente verschiedener Lernsituationen nach Wocken. Zunächst ist zu bedenken, dass die Planung einer entsprechenden Unterrichtsstunde den Einsatz ergiebiger Aufgaben (s
iehe auch: Unterrichtsplanung GL) voraussetzt, die das Lernen am gemeinsamen Gegenstand auf unterschiedlichen Wegen ermöglichen. Hinweise zur Aufbereitung ergiebiger Aufgaben sind im Bereich
Aufgaben adaptieren und im Bereich
Inhalte ausführlich aufgeführt.
Zur Konkretisierung der einzelnen Elemente aus der obigen Darstellung stellt die folgende Tabelle sowohl die differenzierten Aktivitäten der Lehrkraft und der Lerner als auch die möglichen Sozialformen der Phasen dar.
Aktivitäten der Lehrkraft und der Lernenden in verschiedenen Unterrichtsphasen
Aktivität der Lehrkraft:
Die Lehrperson ... |
Diagnose- und Fördermomente |
Aktivität der Lerner:
Die Lerner ... |
mögliche Sozialform/ Lernsituation |
HINFÜHRUNG ZUR AKTIVITÄT |
strukturgebende Einstiegsphase |
-
ermöglicht einen motivierenden und aktivierenden Einstieg
-
intendiert die mathematische Problementfaltung/ das Aufgabenformat etc.
-
erarbeitet gemeinsam Probehandlungen hinsichtlich des Arbeitsauftrages
-
schafft Transparenz über Arbeits- und Reflexionsauftrag
-
klärt inhaltliche und methodische Fragen
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-
systematische und unsystematische Beobachtung einzelner Lernender
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Beobachtungen bzgl. erster Zugänge und Ideen zum Lösungsvorgehen
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-
aktivieren ihr individuelles Vorwissen
-
vollziehen erste Denkschritte hinsichtlich der mathematischen Herausforderung
-
entwickeln erste individuelle Zugänge
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mit der gesamten Lerngruppe
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im Halbkreis vor der Tafel
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im Sitzkreis
in einer Kleingruppe
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SELBSTORGANISIERTE ARBEITSPHASE |
adaptive Arbeitsphase |
-
nutzt Momente zur individuellen Lernbegleitung (Diagnose- und Fördermomente)
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adaptives Eingreifen der Lehrperson in individuelle Lernprozesse:
-
zielgerichtete Unterstützung auf der Grundlage von Beobachtungen
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Einbezug von Material bei inhaltsbezogenen Herausforderungen
-
Förderung des gemeinsamen oder eines weiteren Inhaltes
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erkunden und erarbeiten die Aufgabenstellung auf eigenen Wegen
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holen eigenständig bereitgestellte Unterstützungsmaßnahmen aus dem Matheregal
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bestimmen selbstständig den Komplexitätsgrad
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arbeiten im individuellen Lerntempo
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-
Einzel- oder Partnerarbeit am gemeinsamen Gegenstand
-
Unterstützung durch Experten (subsidiäre Lernsituation)
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strukturierte Austauschphase |
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begleitet adaptiv auf der Grundlage systematischer und unsystematischer Beobachtungen
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unterstützt den inhaltlichen Austausch unter den Lernenden
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beobachtet Lern- und Lösungsprozesse der Lernenden
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analysiert Schülerdokumente
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begleitet passiv den Austausch als Zuhörer/ Beobachter
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-
finden eigenständig eine Austauschgruppe
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tauschen, sammeln, ordnen und vergleichen erarbeitete Ergebnisse oder Lösungswege
-
geben Impulse zur Weiterarbeit
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-
Austausch in Kleingruppen
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z.B.: Mathekonferenz in Kleingruppen (kooperative Lernsituation)
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individuell-flexible Phase |
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begleitet adaptiv zur vertieften individuellen Förderung der Lernenden
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stellt herausfordernde, weiterführende und inhaltsbezogene Fragestellungen
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-
arbeiten eigenständig an bereitgestellten, vertiefenden Aufgaben des gemeinsamen Gegenstandes
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Einzelarbeit
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Partnerarbeit
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REFLEXION DER AKTIVITÄT |
Auswertungsphase |
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greift das Ziel (Forscherauftrag) der Unterrichtseinheit auf
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moderiert das Gespräch der Lerner
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fasst ggf. Ergebnisse zusammen
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gibt einen Ausblick über die folgenden Unterrichtseinheiten
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nutzt die Reflexionsphase zur Diagnose der Lernstände
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zielgerichtete Beobachtung der Lernenden
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Weiterführung/ Strukturierung gemachter Schülergedanken zum Anregen neuer Denkweisen
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stellen Ergebnisse vor, beschreiben Lösungswege oder Strategien etc.
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ziehen Lösungswege und Ergebnisse von Mitschülern/innen nach
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vergleichen erarbeitete Erkenntnisse
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erkennen Beziehungen und Strukturen mathematischer Inhalte
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reflektieren ihren individuellen Lernprozess
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mit der gesamten Lerngruppe
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im Halbkreis vor der Tafel
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im Sitzkreis
in einer Kleingruppe
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Die aufgeführte Möglichkeit der Unterrichtsstrukturierung verdeutlicht, dass innerhalb einer Einheit verschiedene Lernsituationen nach Wocken (vgl. Wocken 1998) aufgegriffen werden. Darüber hinaus zeigt die Darstellung der Aktivität der Lernenden einmal mehr die Bedeutung selbstständigen Arbeitens aller. Dies stellt einige Schülerinnen und Schüler vor eine große Herausforderung, die nur schrittweise zu erreichen ist. Daher steht die Frage, wie selbständiges Arbeiten der Lernenden unterstützt werden kann, im Vordergrund. Um das Lernen mit- und voneinander in einer alltäglichen Mathematikstunde zu organisieren, wird im Folgenden Einblick in die Organisation und unterstützende Maßnahmen selbstständiger Aktivitäten der Lernenden in einer Unterrichtseinheit gegeben. Merkmale guten Unterrichtes und Elemente der oben aufgeführten Lernsituationen werden aufgegriffen, sodass der Lehrperson Momente zur individuellen Diagnose und Förderung ermöglicht werden.