Auf eine „Große Pause“ mit Achim Nöhles (Schulleiter an der Schule am Lerchenweg)
„Viele Professionen – ein Team“
MATIN: Herr Nöhles, das Motto dieses Interviews ist das Motto Ihrer Schule...
An unserer Schule heißt das Lehrerzimmer „Pädagogenzimmer“. Diese vermeintlich kleine Namensänderung unseres gemeinsamen Arbeits- und Aufenthaltsraumes erscheint uns wichtig und inzwischen selbstverständlich, tragen doch nur noch 25 der knapp 70 Mitarbeiterinnen an der Schule am Lerchenweg die Berufsbezeichnung „Grundschullehrer*in“. Denn um den vielfältigen Aufgaben einer Grundschule und der Heterogenität unserer Schülerschaft gerecht zu werden, braucht es auch Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen, Sozialarbeiterinnen, Therapeutinnen, Sonderpädagoginnen, Musiklehrer, Künstler, Integrationshelferinnen, FsJ´lerinnen, Studentinnen und Ehrenamtliche. Wir alle bringen unser Fachwissen in die gemeinsame Arbeit ein. Wir übergeben unsere erzieherisch herausfordernden Kinder nicht der Sonderpädagogin oder der Schulpsychologin, damit sie das Problem beseitigt. Wir alle verantworten gemeinsam und auf Augenhöhe die Bildungs- und Erziehungsarbeit unserer Schule.
MATIN: Was ist aus Ihrer Erfahrung für die Arbeit in multiprofessionellen Teams wichtig?
Das Wichtigste ist Rollenklarheit. Als wir 2006 die erste „gebundene“ Ganztagsklasse mit einer Klassenlehrerin und zwei Erzieherinnen eingerichtet haben, sind wir schnell an unsere Grenzen gestoßen. Mangelnde Rollenklarheit hat auf beiden Seiten zu Überforderung geführt. Erst nachdem wir uns in konkreten Aufgabenbeschreibungen gegenseitig klargemacht haben, wer innerhalb des Teams welche Aufgaben hat, nahm die Belastung wieder ab und die Teamarbeit kam voran. Auch für die Kinder ist das von sehr hoher Bedeutung, weil die gleichzeitige Anwesenheit vieler Erwachsener im Raum für sich genommen noch kein Qualitätsmerkmal darstellt, sondern bei nicht abgestimmtem Tun die Kinder mehr überfordert als unterstützt.
Ein gutes Team braucht regelmäßige Teambesprechungszeiten, Supervision und Leitung, - jemanden, der den Weg im Blick behält, der bei Unstimmigkeiten in den einzelnen Teams zuhört und vermittelt, der sortiert, ordnet, ab und an auch mal fordert, der die Voraussetzungen dafür schafft, dass das Team arbeitsfähig bleibt, der Impulse für die weitere Schulentwicklung setzt und der dafür sorgt, dass das Leitbild der Schule nach innen und außen umgesetzt wird.
MATIN: Wo liegen die Vorteile bei der Arbeit in einem Team mit verschiedenen Professionen? Was sind Herausforderungen?
Weil wir auf dem besten Weg sind, alle 340 Kinder der Schule den ganzen Tag von 08:00 Uhr bis 16:00 Uhr in der Schule zu haben, finden wir die notwendige Zeit, um uns den Kindern mit unseren vielfältigen professionellen Möglichkeiten zuzuwenden. Wir können gemeinsam Haltungen entwickeln und uns gegenseitig unterstützen, wenn inklusive Herausforderungen und Lebensbedingungen der uns anvertrauten Kinder (überwiegend sozialer Brennpunkt) uns mal zu überfordern drohen. Wenn eine Kollegin im Rahmen ihrer professionellen Möglichkeiten nicht mehr weiterweiß, ist jemand da, der mit seiner Profession einen „anderen Blickwinkel“ auf das Kind oder das Problem wirft. Auch außerhalb der Schule haben wir Austausch mit der sozialpädagogischen Familienhilfe und finden in unserem überregional bekannten kommunalen Netzwerk „Mo.Ki – Monheim für Kinder“ Partner und Hilfen wie z.B. Schulpsychologen. Das macht Mut und schafft Handlungsalternativen, es gibt uns das Gefühl, die stets neuen Herausforderungen niemals alleine bewältigen zu müssen.
Wir haben den Tagesablauf neu rhythmisiert. Alle Kinder und alle Lehrkräfte haben eine verbindliche Mittagspause von 11:50 bis 13:00 Uhr. Das bringt so ganz nebenbei zusätzliche Zeit für fachlichen (und privaten) Austausch im Team. Die Mitarbeitenden in unserem multiprofessionellen Team verbringen dadurch vermutlich mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als in anderen Systemen. Dieser vermeintliche Nachteil hat sich inzwischen aber längst als Vorteil herausgestellt, die Berufszufriedenheit ist bei uns eher hoch, die Fluktuation ist gering, die meisten Kolleginnen bleiben der Schule über einen langen Zeitraum treu.
MATIN: Inwieweit schlägt sich das Arbeiten in multiprofessionellen Teams konkret im inklusiven Mathematikunterricht nieder? Welche Chancen ergeben sich dadurch?
Eine Abgrenzung zwischen den Fächern halte ich für schwierig. Ich sehe aber Chancen, die auch im Mathematikunterricht greifen: FsJ´ler, Erzieherinnen und Integrationshelfer unterstützen in offenen Lernphasen gezielt und nach Rücksprache mit der Lehrerin einzelne Kinder bei der Arbeit. Die notwendigen und sinnvollen Hilfen werden miteinander abgestimmt, damit das „Fördern und Fordern“ auch wirklich zielgerichtet und nicht zufällig gelingt. Im Teamteaching mit anderen Grundschullehrerinnen können Lerngruppen geteilt und spezielle Angebote für Kleingruppen entwickelt werden, eine Kollegin kann einen speziellen Beobachtungsauftrag im Unterricht verfolgen, der ihrer Profession entspricht und gezielte Diagnostik und deren Auswertung kann zum Einsatz kommen. Aus der Zusammenschau der Blickwinkel einer Sonderpädagogin, einer Therapeutin, einer zweiten Grundschullehrerin im Raum oder einer Sozialpädagogin entstehen neue Lernwege, die die Grundschullehrkraft alleine nicht gesehen bzw. gefunden hätte.
MATIN: Eine Frage zum Abschluss: Haben Sie ein „P.S.“ für das Projekt Mathe inklusiv mit PIKAS?
Eine Schule ohne ein multiprofessionelles Team? Für mich unvorstellbar!
Achim Nöhles, Schulleiter an der Schule am Lerchenweg in Monheim am Rhein
März 2019 MATIN