Auswirkungen von Blindheit und Sehbeeinträchtigungen auf die Teilhabe in verschiedenen Gesellschaftsbereichen - darunter auch der Bereich der schulischen Bildung - sind äußerst vielschichtig und stets individuell. Bedingungsfaktoren für Teilhabebarrieren finden sich einerseits in den jeweiligen Ursachen und Ausprägungsformen der Sehschädigung und in den konkreten Auswirkungen auf verschiedene Entwicklungsbereiche, aber andererseits auch in den jeweiligen Umweltbedingungen, wozu die Verfügbarkeit und die Nutzungskompetenz von Hilfsmitteln und Medien zählt (z.B. Schrift- und Veranschaulichungsmedien) sowie das Vorhandensein spezifischer Fördermaßnahmen.

Ursachen und Ausprägungsformen 

Ursachen von Sehbeeinträchtigungen lassen sich auf genetisch, stoffwechsel- oder umweltbedingte Faktoren zurückführen. Sie können angeboren, perinatal oder postnatal erworben sein. Wichtig ist, die Ursachen nach Schädigungsort zu differenzieren, d.h. dahingehend, ob der Sehapparat (Linse, Hornhaut, Netzhaut etc.) eine Schädigung aufweist oder ob (zusätzliche) Störungen der Reizweiterleitung und Reizverarbeitung im Gehirn vorliegen.

Störungen der Reizverarbeitung auf zerebraler Ebene werden als Zerebrale Sehschädigungen oder CVI (Cerebral Visual Impairment) bezeichnet. CVI kann isoliert, in Kombination mit Schädigungen des Sehapparats oder in Verbindung mit komplexen zerebralen Schädigungen auftreten. CVI ist in den Industrieländern die häufigste Ursache von Sehbeeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen, wie die Übersicht zeigt.

Häufige Ursachen von Sehschädigungen für das Kindes- und Jugendalter in den Industrieländern (Garber & Huebner, 2017; Hatton et al., 2013):

Ursache und Häufikeit der Sehschädigung

  • Störung der visuellen Wahrnehmung: CVI (Cerebral Visual Impairment)

ca. 20-25%

  • Netzhautschädigung bei frühgeborenen Kindern (Retinopathia praematurorum)

ca. 12-19%

  • Sehnervschädigungen

ca. 11-17%

  • Strukturveränderungen des Auges (z.B. erblich bedingte Netzhautdegeneration)

ca. 11-17%

  • Albinismus (Pigmentmangel, der auch die Iris betrifft) 

ca. 4,5%

Sehschädigungen können sich sehr unterschiedlich auf das Sehvermögen auswirken. Häufige Auswirkungen sind (Lang & Thiele, 2020):

  • ein trübes, unscharfes Netzhautbild,
  • ein eingeschränktes Gesichtsfeld,
  • eine erhöhte Blendempfindlichkeit,
  • eine herabgesetzte Kontrastempfindlichkeit,
  • ein nur gering oder gar nicht vorhandenes Farbensehen,
  • fehlendes räumliches Sehen (Stereosehen),
  • Einschränkungen in der Wahrnehmung bewegter Objekte,
  • Schwierigkeiten bei der Fixation aufgrund eines Augenzitterns (Nystagmus),
  • Probleme bei der Unterscheidung von Formen,
  • Extreme Kurz- oder Weitsichtigkeit (Myopie bzw. Hyperopie)

Die Auswirkungen von Sehschädigungen lassen sich für gut sehende Menschen nur schwer adäquat simulieren. Simulationsbilder können lediglich einen groben Eindruck vermitteln. Der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin (ABSV) bietet auf seiner Homepage einen Sehbehinderungssimulator an, der einen Einblick in einige Sehschädigungen und deren Auswirkungen auf verschiedene Alltagsanforderungen ermöglicht:

Sie können sich die Orientierung an einer Straßenkeuzung oder in einem Treppenhaus, das Legen von Puzzleteilen oder das Ausfüllen eines Formulars beispielhaft unter den Bedingungen von fünf ausgewählten Augenerkrankungen ansehen, die im Zusammenhang mit den Simulationsbildern kurz erläutert werden.


Wenn Sie die folgenden Links nutzen, können Sie sich direkt einige ausgesuchte Simulationen anschauen:

  • trübes, unscharfes Netzhautbild (am Beispiel der Augenerkrankung Grauer Star)

Situation Kreuzung

Situation Formular ausfüllen 

  • zentraler Gesichtsfeldausfall (am Beispiel der Augenerkrankung Makula-Degeneration)

Situation Kreuzung 

Situation Formular ausfüllen 

  • Gesichtsfeldausfälle in verschiedenen Bereichen (am Beispiel der Augenerkrankung Grüner Star)

Situation Kreuzung 

Situation Formular ausfüllen 

  • Röhrengesichtsfeld (am Beispiel der Augenerkrankung Retinopathia Pigmentosa)

Situation Kreuzung 

Situation Formular ausfüllen 


Auswirkungen auf verschiedene Entwicklungsbereiche 

Blindheit und Sehbeeinträchtigungen können sich auf unterschiedliche Entwicklungsbereiche auswirken. In welchem Ausmaß und Umfang dies der Fall ist, hängt wesentlich davon ab, ob die Sehbeeinträchtigung bzw. Blindheit schon von Geburt an vorhanden ist oder im Kindes- bzw. Erwachsenenalter erworben wurde sowie davon, ob und welche Sehfähigkeiten verblieben sind. Darüber hinaus sind die Persönlichkeitsstruktur und der Anregungsgehalt der sozialen und dinglichen Umgebung entscheidende Einflussfaktoren. Nachfolgend werden einige mögliche Auswirkungen beispielhaft aufgeführt (Lang & Thiele, 2020, 14):

Kognition

Kinder und Jugendliche mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung sind kognitiv genauso leistungsfähig wie Kinder und Jugendliche ohne Sehbeeinträchtigungen. Lernprozesse können jedoch beispielsweise durch ein eingeschränktes Imitationslernen erschwert sein. Auch die Bildung von Begriffen kann sich aufwändiger gestalten, da manche Begriffsmerkmale visuell schneller und einfacher zugänglich sind. 

Der Aufbau räumlicher Vorstellungen ist oftmals erschwert. Die Orientierung z.B. in Räumen erfordert den Erwerb komplexer Strategien und Kompetenzen.

Motorik

Sehen schafft vielfältige Bewegungsanreize, steuert die Bewegungsausführung und stabilisiert das Gleichgewicht. Kinder mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung sammeln u.U. weniger Bewegungserfahrungen und können somit Verzögerungen in der motorischen Entwicklung sowie Auffälligkeiten hinsichtlich Bewegungskoordination und Körperhaltung zeigen.

Vor allem Kinder und Jugendliche mit Blindheit zeigen mitunter psychomotorische Besonderheiten (Bewegungsstereotypien wie Augenbohren, Schaukeln mit dem Oberkörper etc.).

Sprache/Kommunikation

Das Erfassen mimischer und gestischer Gesprächsanteile ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Nonverbale Informationen werden über die Sprachintonation abgeleitet.

Soziabilität

Der Erwerb lebenspraktischer Fähigkeiten (z.B. Zubereitung von Nahrung) ist in der Regel ein sehr zeitintensiver Lernprozess.

Emotionalität

Blindheit und Sehbeeinträchtigung können die Entwicklung von Ängstlichkeit unterstützen, da Bewegungshandlungen mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden sein können. Tasthandlungen können mit unangenehmen Wahrnehmungserfahrungen verbunden sein und zu Tastvermeidung oder Tasthemmungen führen, wodurch wiederum wichtige Lernerfahrungen und Lernzugänge erschwert werden können.

Um Beeinträchtigungen der Entwicklung vorzubeugen bzw. um ein Höchstmaß an Aktivität und Teilhabe zu erzielen, ist eine frühzeitige blinden- und sehbehindertenspezifische Förderung und eine individuell angepasste Hilfsmittelversorgung unabdingbar. Entsprechende Maßnahmen, die von spezifischen Institutionen der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik veranlasst und koordiniert werden, beginnen idealerweise mit der Frühförderung und setzen sich über die gesamte Schulzeit kontinuierlich fort.