Nach den Ausführungen im Teilmodul Definitionen und Daten kann man vermuten: Wenn bei einer Schülerin oder einem Schüler im Schulalter sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Sprache diagnostiziert wird, ist dem fast immer ein gestörter Spracherwerbsprozess im Vorschulalter vorausgegangen. Um die Entstehungshintergründe für die erschwerten Lernvoraussetzungen der betroffenen Lernenden besser zu verstehen, ist ein wissenschaftlich fundierter Überblick über wichtige Bedingungsfaktoren von Sprachstörungen hilfreich.

Die wichtigste Erkenntnis sei in diesem Zusammenhang vorangestellt: Theoretisch und empirisch fundierte Modelle zur hinreichenden Erklärung der Entstehung und der entwicklungspsychologischen Dynamik von spezifischen Spracherwerbsstörungen liegen bislang nicht vor (vgl. Ritterfeld, 2004, S. 85). Auch Veröffentlichungen jüngeren Datums können diese Lücke nicht schließen.

Schaubild. In der Mitte Rechteck „Sprachentwicklungsstörung“. Drumherum 3 weitere Rechtecke angeordnet in Form eines Dreiecks. Oben: „Biologische Faktoren: Genetische Prädisposition, hirnorganische Faktoren, Hörbeeinträchtigungen“. Links unten: „Umwelteinflüsse: Sprachanregung und interaktives Förderpotential in der Familie, soziale Herkunft, Mediengebrauch“. Rechts unten: „Kognition: Auditive Informationsverarbeitung, Arbeitsgedächtnis“.
Abbildung 3: Bedingungsfaktoren für die Entwicklung von Sprachstörungen
 
Die Erstellung eines eindeutigen Erklärungsmodells von Spracherwerbsstörungen stellt ohnehin ein fragliches Unterfangen dar, denn potentiell störende Einflussfaktoren auf die Sprachentwicklung sind vielfältig, komplex und miteinander verwoben. Die in der Abbildung 3 aufgeführten Bedingungsfaktoren haben daher hypothetischen Charakter, sie werden jedoch hinsichtlich ihrer Relevanz durch empirische Untersuchungen gestützt.

Im Folgenden werden wir uns bloß auf solche Faktoren beziehen, die bei wissenschaftlichen Publikationen wiederholt einbezogen wurden, wie etwa sprachliche Umweltbedingungen, Faktoren der kognitiven Informationsverarbeitung oder biologische Einflüsse. Die Gewichtung einzelner Faktoren und die Richtung ihrer vermuteten Einflussnahme wird in der Abbildung durch die Größe und Richtung der Pfeile grafisch hervorgehoben.

Zu betonen ist, dass sich die nachfolgenden Erkenntnisse auf den gestörten Erwerb von sprachlichen Strukturen an sich beziehen (vor allem in Bezug auf die Ebenen Lexikon/Semantik bzw. Morphologie/Syntax, siehe Teilmodul Sprachentwicklungsstörungen). Im Zentrum steht also die gestörte Sprachentwicklung, da über die Ursachen zu den verschiedenen Störungen des Redeflusses (Poltern, Stottern etc.) und der Artikulation (z.B. Lispeln) bislang wenig bekannt ist (vgl. Suchodoletz, 2013, S. 20).

Lesen Sie hier weiter, wenn Sie den Einfluss von Umweltbedingungen auf die Entstehung von Sprachstörungen nachvollziehen möchten.

Wenn Sie mehr zum Zusammenhang zwischen gestörten Spracherwerbsprozessen und der kognitiven Informationsverarbeitung erfahren wollen, lesen Sie bitte hier weiter.

Welchen Einfluss spielen biologische, vor allem genetische Einflüsse bei der Entstehung von Sprachstörungen? Auf dieser Seite erfahren Sie mehr dazu.