Lernschwierigkeiten stellen sich in der pädagogischen Praxis als höchst individuelle Passungsprobleme zwischen schulischen Anforderungen und den aktuellen Lernvoraussetzungen eines Kindes dar:

Zeigen sich im Unterricht Erschwernisse beim Erwerb der mathematischen Inhalte und Kompetenzen, so sollte im Sinne einer entwicklungsorientierten Diagnostik vorrangig zu klären sein, welche relevanten Lernvoraussetzungen der oder die Lernende bereits erwerben konnte, welche noch nicht oder nur unzureichend entwickelt sind, welche unterrichtlichen Anforderungen der oder die Lernende erfüllen kann, und welche schulischen Unterstützungsangebote dem Kind gemacht werden können.


 Weitere Informationen zur entwicklungsorientierten Diagnostik finden Sie im Teilmodul Vertiefende Informationen → Diagnostik


Wenn bei einer Schülerin oder einem Schüler sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen diagnostiziert wird, ist das zumeist das Resultat einer langen Entwicklung – fast immer ist der Diagnose eine erschwerte vorschulische und schulische Lernbiografie vorausgegangen. Es ist aus wissenschaftlicher Sicht und aus Sicht der pädagogischen Praxis sinnvoll, wichtige Bedingungsfaktoren herauszuarbeiten, welche das schulische Lernen positiv bzw. negativ beeinflussen. Nur darauf aufbauend kann man versuchen, für möglichst alle Kinder lernwirksame Lern- und Entwicklungsbedingungen zu schaffen und bei Risiken gezielt gegenzusteuern.

Wenn es nicht gelingt, durch wirksame schulische Maßnahmen für Ausgleich zu sorgen, ist Schulversagen zu erwarten – das gilt für jedes Unterrichtsfach und insbesondere für den Mathematikunterricht, in dem viele zu erwerbende Kompetenzen aufeinander aufbauen.

Theoretisch und empirisch fundierte Modelle zur hinreichenden Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Lernstörungen liegen bislang nicht vor (vgl. Heimlich & Wember, 2014), auch nicht für das Erlernen von Mathematik. In Abbildung 1 werden einige Bedingungsfaktoren schulischen Lernens dargestellt, die in wissenschaftlichen Publikationen immer wieder als wichtige Faktoren diskutiert werden. Auf dieser Webseite werden nur einige ausgesuchte Faktoren vorgestellt, die für das Mathematiklernen besonders wichtig sind.

Schaubild. In der Mitte gelbes Rechteck „Unterstützungsbedarf beim Mathematik lernen“. An den vier Seiten unterschiedlich viele grün oder orange gefärbte Rechtecke. Die Rechtecke sind mit unterschiedlichen Pfeilen miteinander verbunden und verweisen auf das mittige Rechteck. Linke Seite, orange: „Soziale Lage“, Pfeil, „familiäre Umwelt“, Pfeil; oben, orange: „Genetische Faktoren“, Pfeil, „neuronale Faktoren“, Pfeil. Unten, grün: „Schulische Lernbedingungen“, Pfeil, „Lernbedingungen im Unterricht“, Doppelpfeil. Rechts, grün: Kognitive Kompetenzen, Pfeil nach links, „Mathematisches Wissen und Können“, Pfeil nach links. Über und unter diesen Rechtecken sind jeweils wiederum Rechtecke, auf die Doppelpfeile zeigen. Oben rechts: „Lern- und Arbeitsverhalten“, oben links: „Lern- und Arbeitsverhalten Mathematik, unten rechts: „Lernmotivation“, unten links: „Lernmotivation Mathematik“. Doppelpfeil zwischen „Lernmotivation Mathematik“ und „Lernbedingungen im Unterricht“.
Abbildung 1: Bedingungsfaktoren schulischen Lernens

Abbildung 1 zeigt, dass potentiell störende Einflussfaktoren (auf die schulische Lernentwicklung) auf verschiedenen Ebenen entstehen können und dass sie vielfältig, komplex und miteinander verwoben sind. Potenziell störende Einflüsse können vor allem in folgenden Bereichen entstehen: In den schulischen Lernbedingungen, in der familiären Umwelt eines Kindes und seiner sozialen Lage sowie beim Kind selbst, in seinen kognitiven Kompetenzen und im Lern- und Arbeitsverhalten.

Die Abbildung 1 soll darüber hinaus zwei pädagogisch wichtige Unterscheidungen verdeutlichen:

  • Bedingungsfaktoren, die sich durch Schule und Unterricht positiv beeinflussen lassen, sind grün markiert, während in orange unterlegt solche Lern- und Entwicklungsbedingungen dargestellt sind, die von Schule und Unterricht nicht oder nur indirekt beeinflusst werden können.
  • Die unterschiedlichen weiten Abstände der Faktoren und Bedingungsfaktoren zum „Unterstützungsbedarf beim Mathematiklernen“ im Zentrum der Abbildung verdeutlichen die Nähe zu Schule und Unterricht.

Aus pädagogischer Sicht ist es sinnvoll, sich vor allem über solche Bedingungen Gedanken zu machen, die nahe an Schule und Unterricht liegen und die deshalb oft große Auswirkungen auf das schulische Lernen haben – in der Abbildung die zentral positionierten Bedingungen. Darüber hinaus ist es ratsam, sich von diesen Bedingungen vor allem diejenigen anzusehen, die sich mit pädagogischen Mitteln direkt beeinflussen lassen – in der Abbildung die grün markierten Bedingungen.

… bestimmen das Lernen in positiver und in negativer Weise. In diesem Teilmodul können Sie erfahren, dass familiäre Sozialisationsbedingungen eines Kindes zwar wichtig sind für schulisches Lernen, aber kaum direkt beeinflusst werden können.
Das verhält sich bei den schulischen Lernbedingungen und insbesondere bei den Lernbedingungen im Unterricht anders: Diese sind besonders wirksam, sie können durch Lehrkräfte gezielt gestaltet werden.

… tragen wesentlich zum Erfolg im Mathematikunterricht bei. Wichtig ist, dass relevante Lernvoraussetzungen von der Lehrkraft erkannt und bei der Gestaltung der unterrichtlichen Angebote berücksichtigt werden.

… bilden eine wesentliche Grundlage für das Erlernen von Mathematik, aber sie sind pädagogisch nicht direkt zu beeinflussen. Sie können nur mittelbar positiv beeinflusst werden – im Rahmen von Schule und Unterricht u.a. durch guten Mathematikunterricht.