Mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz (geltend seit März 2022) wird in Nordrhein-Westfalen die "Schule für Kranke" in „Klinikschule" umbenannt. Da die im Folgenden genutzten Daten mit der alten Begrifflichkeit arbeiten, wird diese im Text beibehalten.
Im Jahr 2008 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Sie fordert u. a., dass allen Kindern – mit und ohne besonderen pädagogischen Unterstützungsbedarf – Zugang zu einem gemeinsamen inklusiven Bildungssystem gewährleistet wird. Wie sich die Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung insgesamt entwickelt hat und wie viele Kinder und Jugendliche bundesweit Förderschulen und allgemeine Schulen besuchen, wird im ersten Teil dieses Kapitels betrachtet. Anschließend betrachten wir, wie sich die Lernenden auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte verteilen und dokumentieren ausgesuchte Daten zum Schwerpunkt Lernen – zunächst in bundesweiter Analyse und dann für das Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Sonderpädagogische Förderung an allgemeinen Schulen und an Förderschulen in Deutschland
Wie hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischer Förderung an allgemeinen Schulen und an Förderschulen insgesamt entwickelt?
Zur Beantwortung dieser Frage muss man zunächst errechnen, wie viele Kinder und Jugendliche insgesamt an Förderschulen und an allgemeinen Schulen sonderpädagogisch gefördert werden und dann diese Zahl zur Zahl der insgesamt schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen ins Verhältnis setzen. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu verstehen, dass die Kultusministerkonferenz drei Schularten unterscheidet (KMK, 2022a, S. 11-14): Sie definiert als Gesamtheit die allgemeinbildenden Schulen und unterteilt diese dann in allgemeine Schulen und in Förderschulen:
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Allgemeinbildende Schulen sind alle Grundschulen, Schulartunabhängige Orientierungsstufen, Hauptschulen, Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Realschulen, Gymnasien, Integrierte Gesamtschulen, Freie Waldorfschulen, Abendhauptschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs als allgemeine Schulen und alle Förderschulen.
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Allgemeine Schulen sind alle allgemeinbildenden Schulen ohne die Förderschulen.
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Förderschulen sind allgemeinbildende Schulen, die der Förderung und Betreuung körperlich, geistig und emotional benachteiligter sowie sozial gefährdeter Kinder dienen, die nicht oder nicht mit ausreichendem Erfolg in allgemeinen Schulen unterrichtet werden können. Förderschulen sind allgemeinbildende Schulen, weil sie in der Regel den gleichen Bildungsauftrag wie die übrigen allgemeinbildenden Schulen haben.
Die folgende Abbildung stellt die bundesweite Entwicklung für die Jahre 2011 bis 2020 in absoluten Zahlen dar (KMK, 2022b, S. XXI): Das Säulendiagramm zeigt die Entwicklung der Anzahl der insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland an allgemeinen Schulen und an Förderschulen geförderten Schuler*innen und macht deutlich, wie viele Lernende auf den Schwerpunkt Lernen und wie viele auf alle sonstigen Förderschwerpunkte entfallen.
Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung an allgemeinen Schulen und an Förderschulen der Bundesrepublik Deutschland von 2011 bis 2020, unterteilt in den Förderschwerpunkt Lernen und sonstige Förderschwerpunkte (KMK, 2022b, S. 3; ohne Schule für Kranke, eigene Darstellung)
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Im Jahr 2011 erhielten an allgemeinen und an Förderschulen insgesamt knapp 477.000 Schüler*innen sonderpädagogische Förderung, knapp 199.000 im Schwerpunkt Lernen und etwa 278.000 Lernende im den sonstigen Förderschwerpunkten. In den Folgejahren stieg die Gesamtzahl auf 571.000 an.
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In den sonstigen Förderschwerpunkten (ohne Lernen) legten die Zahlen bis 2019 kontinuierlich und trotz einer Abnahme zum Schuljahr 2020 um insgesamt 65.000 auf 343.000 Schüler*innen zu.
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Im Schwerpunkt Lernen zeichnet sich eine gegenläufige Entwicklung ab: Bis 2017 gingen die Zahlen um 12.000 Schüler*innen zurück, sie sind seitdem jedoch zunächst ein wenig und zu 2020 deutlich auf 228.000 Kinder und Jugendliche angestiegen, insgesamt eine Zunahme um 29.000.
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Zur Erklärung der Trendwende in den Jahren 2019 und 2020 schreibt die KMK (2022b, S. 3, Fußnote 2 zu Tabelle 1.1.1), der Anstieg im Förderschwerpunkt Lernen und der damit einhergehende Rückgang bei den sonstigen Förderschwerpunkten sei vor allem mit einer Umstellung des Erhebungsverfahrens im Bereich der Förderschulen in Bayern zu erklären, die zu erheblichen Verschiebungen geführt habe.
Im Ergebnis lässt sich feststellen: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die an Förderschulen und an allgemeinen Schulen sonderpädagogische Förderung erhalten, ist von 2010 bis 2020 im Schwerpunkt Lernen um etwa 15 % und in den sonstigen Förderschwerpunkten um gut 23 % gestiegen.
Wie hoch ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischer Förderung an der Gesamtzahl der Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen?
Zur Beantwortung dieser Frage berechnet die KMK als Kennwert die sog. Förderrelation (bis 2020: Förderquote). Die Förderrelation ist der Anteil der an Förderschulen und an allgemeinen Schulen sonderpädagogisch geförderten Kinder und Jugendlichen an der Gesamtzahl aller Kinder und Jugendlichen im Alter der Vollzeitschulpflicht, das sind die in den Klassenstufen 1 bis 9/10 an allgemeinen Schulen und an Förderschulen unterrichteten Schüler*innen. Die Förderrelation beschreibt also den Anteil der geförderten Schüler*innen als Quotient aus der Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung und der Gesamtzahl der Schüler*innen im Primar- und Sekundarbereich I, einschließlich der Förderschulen (KMK, 2022a, S. 39). Die folgende Abbildung stellt die Entwicklung der Förderrelation von 2011 bis 2020 dar.
Entwicklung der Förderrelationen von 2011 bis 2020, unterteilt in den Förderschwerpunkt Lernen und die sonstigen Förderschwerpunkte (KMK, 2022b, S. 4.; ohne Schule für Kranke, eigene Darstellung).
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Im Schuljahr 2011/2012 lag die Förderrelation bei 6,3 %, das bedeutet, dass insgesamt 6,3 % aller Schüler*innen im Primar- und Sekundarbereich I (einschließlich Förderschulen) sonderpädagogische Förderung erhalten haben.
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Diese Quote stieg in den Folgejahren kontinuierlich an und erreichte im Schuljahr 2020/2021 7,7 %.
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Im Schwerpunkt Lernen blieb die Förderrelation von 2011 bis 2018 stabil bei oder leicht unter 2,6 %, in den Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021 stieg sie auf 3,1 % an.
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In den sonstigen Förderschwerpunkten lag die Förderrelation 2011 bei 3,7 %, sie stieg bis 2019 kontinuierlich auf 4,9 % und fällt zum Schuljahr 2020/2021 leicht ab auf 4,6 %.
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Die Entwicklung der Förderrelationen spiegelt die Entwicklung der absoluten Zahlen wider, einen Rückgang im Schwerpunkt Lernen und eine Zunahme in den sonstigen Förderschwerpunkten sowie einen Trendwechsel in den Jahren 2019 und 2020, der mit einer Umstellung des Erhebungsverfahrens im Bereich der Förderschulen in Bayern zu erklären ist.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die Förderrelation in der Bundesrepublik über die Jahre angestiegen ist. Das wird besonders deutlich, wenn man zum Vergleich Zahlen aus weiter zurückliegenden Schuljahren hinzuzieht. Im Schuljahr 1995/1996 lag die Förderrelation bei 4,3 %, im Schuljahr 2000/2001 bei 5,3 % (KMK, 2005, S. 4), bis zum Schuljahr 2011/2012 stieg sie auf 6,3 und – wie gesehen – bis zum Schuljahr 2020/2021 auf 7,7 % an (KMK, 2022b, S. 4). Dieser Anstieg resultiert vor allem aus einer Zunahme im Bereich der sonstigen Förderschwerpunkte, während die Zahlen im Schwerpunkt Lernen seit Jahren stagnieren oder vergleichsweise wenig ansteigen.
Erhalten hierzulande relativ viele oder relativ wenige Kinder und Jugendliche sonderpädagogische Förderung?
Zur Beantwortung dieser Frage muss man beurteilen, ob 7,7 % eine hohe oder eine niedrige Förderrelation darstellen. Die hier vorgestellten Daten bilden die empirisch vorgefundenen Verhältnisse ab, deren Bewertung läuft jedoch letztendlich auf bildungspolitische oder persönliche Wertsetzung hinaus.
Förderrelation für das Schuljahr 2020/2021 in der Bundesrepublik Deutschland (KMK, 2022b, S. 4.; eigene Darstellung).
Sonderpädagogische Förderung im Schwerpunkt Lernen an allgemeinen Schulen und an Förderschulen in Deutschland
Wie hoch ist bundesweit der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischer Förderung, die im Schwerpunkt Lernen gefördert werden?
Den Großteil der Schülerinnen und Schüler, die in der Vergangenheit spezielle Förderschulen besucht haben und die nun inklusiv unterrichtet werden sollen, stellt die Gruppe der Kinder und Jugendlichen im Schwerpunkt Lernen dar. Dies lässt sich unschwer erkennen, wenn man betrachtet, wie sich Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte verteilen. Die folgende Tabelle stellt einige Daten aus dem Schuljahr 2020/2021 dar.
Sonderpädagogisch geförderte Schüler*innen an allgemeinen Schulen und an Förderschulen in der Bundesrepublik Deutschland – Anzahlen, Förderrelationen und Verteilung nach Förderschwerpunkten im Schuljahr 2020/2021 (KMK, 2022b, S. XVII; ohne Schulen für Kranke, eigene Darstellung)
Im Schuljahr 2020/2021 besuchten etwa 8.4 Millionen Kinder und Jugendliche die öffentlichen Schulen Deutschlands. Der Tabelle kann man entnehmen, dass etwa 571.000 Schüler*innen sonderpädagogische Förderung erhielten, fast 228.000 im Förderschwerpunkt Lernen und etwa 343.000 in allen anderen Förderschwerpunkten. Das entspricht nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz einem Anteil von knapp 40 % bzw. 60 % aller Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischer Förderung (vgl. KMK, 2022b, S. XVI). Die Förderrelation lag – wie bereits im letzten Abschnitt gezeigt – insgesamt bei 7,7 % und für den Schwerpunkt Lernen bei 3,3 %, das bedeutet, dass insgesamt 7,7 % aller Schüler*innen im Primar- und Sekundarbereich I (einschließlich Förderschulen) sonderpädagogische Förderung erhalten haben, 3,3 % im Schwerpunkt Lernen.
Die grafische Abbildung veranschaulicht die bundesweite Verteilung der 571.000 geförderten Schüler*innen auf die Schwerpunkte sonderpädagogischer Förderung im Schuljahr 2020/2021 (KMK, 2022b, S. XVII). Die vier am häufigsten vorkommenden Förderschwerpunkte waren Lernen mit 40 % aller geförderten Kinder und Jugendlichen, Emotionale und soziale Entwicklung mit knapp 18 %, Geistige Entwicklung mit gut 17 % und Sprache mit gut 10 %. Der Anteil der Schüler*innen im Bereich des Lernens dürfte real sogar noch etwas größer sein, denn weitere Lernende befinden sich in der in mehreren Bundesländern erfassten Gruppe der Schüler*innen mit übergreifender bzw. ohne Förderschwerpunktzuordnung – das sind die Kinder und Jugendlichen, die sich laut Kultusministerkonferenz nicht oder noch nicht sinnvoll einem bestimmten Förderschwerpunkt zuordnen lassen (KMK, 2022b, S. 29) bzw. die dem übergreifenden Förderschwerpunkt Lernen/Sprache/Emotionale und soziale Entwicklung (LSE) zugeordnet wurden, der im Berichtsjahr nur in Bayern und bis 2016 auch in Hamburg erfasst wurde (vgl. KMK, 2022b, S. 30).
Wie viele Schüler*innen mit Förderbedarf besuchen allgemeine Schulen?
Die folgende Tabelle gibt die Daten aus dem Schuljahr 2020/2021 wieder und das Kreisdiagramm stellt die relativen Anteile anschaulich dar.
Anzahlen und relative Anteile der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung an allgemeinen Schulen in Deutschland im Schuljahr 2020/21 (KMK, 2022b, S. XXI; eigene Darstellung, ohne Schule für Kranke)
Der Tabelle kann man entnehmen, dass im Schuljahr 2020/2021 insgesamt etwa 254.000 Schüler*innen an allgemeinen Schulen sonderpädagogisch gefördert wurden, darunter fast 120.000 Schüler*innen im Schwerpunkt Lernen, das waren mit etwa 47 % knapp die Hälfte aller Lernenden mit sonderpädagogischer Förderung. Es folgten die Schwerpunkte Emotionale und soziale Entwicklung mit 23 % und Sprache mit 11 %, so dass auf diese drei Förderschwerpunkte fast 207.000 Schüler*innen entfielen, das waren gut 80 % aller an allgemeinen Schulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I geförderten Schüler*innen.
Sonderpädagogische Förderung in Nordrhein-Westfalen
Wie stellen sich die Daten im Bundesland Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt dar?
Die folgende Tabelle zeigt ausgesuchte Daten aus Nordrhein-Westfalen für das Schuljahr 2020/2021 und das Kreisdiagramm verdeutlicht die relativen Anteile.
Sonderpädagogisch geförderte Schüler*innen an allgemeinen Schulen und an Förderschulen in Nordrhein-Westfalen – Anzahlen und Verteilung nach Förderschwerpunkten im Schuljahr 2020/2021 (KMK, 2022b, S. XVII; ohne „Schulen für Kranke“ und „Förderschwerpunkt übergreifend bzw. ohne Zuordnung“, eigene Darstellung)
Die Tabelle weist 143.000 Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung aus, somit entfallen fast 25 % aller bundesweit geförderten Kinder und Jugendlichen auf dieses Bundesland. Die Förderquoten an Förderschulen und allgemeinen Schulen entsprechen in etwa dem Bundesdurchschnitt, ebenso die relativen Anteile in den Förderschwerpunkten Hören, Sehen und Geistige Entwicklung.
Bei differenzierter Betrachtung fällt auf, dass der Anteil an allen Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung im Schwerpunkt Lernen mit knapp 32 % nahezu 8 % unter dem Bundesdurchschnitt (40 %) liegt, während die Anteile in den Schwerpunkten Sprache (15 % NRW zu 10 % BRD) und Emotionale und soziale Entwicklung (23 % NRW zu 18 % BRD) höher liegen. Es finden sich folglich in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Lern- und Entwicklungsstörungen, so wie sie in der „Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung“ (MSW, 2016) ausgewiesenen wird, insgesamt fast genau 100.000 Schüler*innen, das sind 70 % aller Kinder und Jugendlichen, die in diesem Bundesland sonderpädagogische Förderung erhalten.
Wie verteilen sich in NRW die Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung auf die Förderschulen und auf die allgemeinen Schulen?
Die folgende Tabelle zeigt ausgesuchte Zahlen aus Nordrhein-Westfalen und das Kreisdiagramm die entsprechenden Anteile für das Schuljahr 2020/2021.
Anzahlen und relative Anteile der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischer Förderung in Förderschulen und allgemeinen Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2020/2021 (KMK, 2022b, S. 25, 65, 77, 83, 89, 95, 101); eigene Darstellung, „freie Waldorfschulen“ und „schulartunabhängige Orientierungsstufen“ kommen nicht vor)
Die Tabelle weist aus, dass im Schuljahr 2020/2021 in diesem Bundesland fast 81.000 Kinder und Jugendliche an Förderschulen sonderpädagogisch gefördert wurden, das waren 56 % im Vergleich zu 44 % an allgemeinen Schulen. Jeweils mehr als 20.000 Lernende besuchten Grundschulen oder integrierte Gesamtschulen, deutlich weniger Haupt- und Realschulen oder Schularten mit mehreren Bildungsgängen und die wenigsten Kinder und Jugendlichen erhielten sonderpädagogische Förderung an einem Gymnasium.
Wie das Kreisdiagramm verdeutlicht, lagen die Anteile in den Grundschulen und integrierten Gesamtschulen bei etwa 15 %, in den anderen allgemeinen Schulen zwischen knapp 6 und 2 %. Ein Grund für den hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf an integrierten Gesamtschulen kann dabei die grundsätzliche Schulgröße sein. So besuchten im Schuljahr 2020/2021 von den 1.919.596 Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen allein 335 805 die integrierten Gesamtschulen. Somit besuchen 17,5% aller Schüler*innen eine integrative Gesamtschule (MSB, 2021, S.11).
Bislang wurde nur das Schuljahr 2020/2021 gewissermaßen als Momentaufnahme im Querschnitt betrachtet. Manchmal ist ein Blick in die zurückliegenden Jahre aufschlussreich, denn er lässt die dynamische Entwicklung erkennen, die zum aktuellen Stand geführt hat. Wir betrachten zunächst die Entwicklung im Bereich der sonderpädagogischen Förderung insgesamt und vergleichen dann damit die Entwicklung im Schwerpunkt Lernen.
Wie hat sich die Zahl der insgesamt an Förderschulen und an allgemeinen Schulen in NRW geförderten Schüler*innen entwickelt?
Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung in Nordrhein-Westfalen von 2011 bis 2020, unterteilt nach allgemeinen Schulen und Förderschulen (KMK, 2022b, S. 25f und 53f.; eigene Darstellung)
Die Abbildung stellt die Entwicklung der Anzahl von sonderpädagogisch geförderten Schüler*innen an allgemeinen Schulen und an Förderschulen des Landes Nordrhein-Westfalen im Verlauf der Jahre 2010 bis 2020 dar. Es zeigt sich, dass die Zahl der an allgemeinen Schulen unterrichteten Schüler*innen kontinuierlich und beträchtlich von knapp 23.000 auf fast 65.000 ansteigt, während die Zahl der an Förderschulen unterrichteten Kinder und Jugendlichen von 97.000 auf 81.000 sinkt. Insgesamt nimmt die Zahl der sonderpädagogisch geförderten Schüler*innen im betrachteten Zeitraum um etwa 20.000 zu.
Wie entwickeln sich die Zahlen im Förderschwerpunkt Lernen im Vergleich zu den sonstigen Förderschwerpunkten?
Die letzte Abbildung verdeutlicht die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen von 2011 bis 2020, unterteilt nach dem Förderschwerpunkt Lernen und den sonstigen Förderschwerpunkten sowie nach allgemeinen Schulen und Förderschulen. In den Förderschulen Lernen halbiert sich die Zahl der Schüler*innen nahezu von 34.000 auf 17.000, während sie an allen anderen Förderschulen mal unter, mal über 60.000 Kindern und Jugendlichen liegt. An den allgemeinen Schulen hingegen steigt die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischer Förderung kontinuierlich an, im Schwerpunkt Lernen von 10.000 im Jahr 2011 auf fast 29.000 im Jahr 2020, in allen anderen Schwerpunkten von 13.000 auf 36.000 Kinder und Jugendliche.
Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung in Nordrhein-Westfalen von 2011 bis 2020, unterteilt in Förderschwerpunkt Lernen und sonstige Förderschwerpunkte sowie nach allgemeinen Schulen und Förderschulen (KMK, 2022b, S. 25f und 53f; eigene Darstellung)
Wie ist die unterschiedliche Entwicklung im Förderschwerpunkt Lernen und allen anderen Förderschwerpunkten zu begründen? Statistische Entwicklungen wie diese sind nur schwierig zu erklären, denn fast immer spielen mehrere Faktoren eine Rolle (Scheer & Melzer, 2020). Ein Grund dürfte darin zu suchen sein, dass zahlreiche Bundesländer – darunter auch Nordrhein-Westfalen – die Diagnose von sonderpädagogischem Förderbedarf für die ersten zwei oder drei Grundschuljahre ausgesetzt haben, damit Lernende nicht voreilig und verfrüht als lernbeeinträchtigt bezeichnet werden. Wenn kein Förderbedarf diagnostiziert werden darf, ist zu erwarten, dass die Zahlen sinken. Dazu passt, dass seit Jahren eine Zunahme in den Förderschwerpunkten Geistige Entwicklung und Emotionale und soziale Entwicklung zu verzeichnen ist, in denen auch in den ersten Schuljahren Förderbedarf festgestellt werden kann. Die Zunahme an inklusiv beschulten Lernenden hängt möglicherweise damit zusammen, dass bei der Feststellung von Förderbedarf an inklusiven Schulen kein Exklusionsrisiko besteht.
Bildungsstatistische Daten sind bei der Beurteilung von schulischer Inklusion mit Vorsicht zu interpretieren sind, hat Dworschak (2017a, b) gewarnt. Die Bundesländer erfassen ihre Daten zwar in den gleichen Kategorien, verwenden jedoch nicht immer die gleichen Definitionen und nehmen auch regionale Unterschiede hin. Alle schulischen Optionen werden auf die beiden Kategorien Förderschule vs. Inklusive Schule reduziert, die vielgestaltige schulische Realität lässt sich auf diese Weise nur unzureichend abbilden, insbesondere kooperative Modelle von allgemeinen Schulen und von Förderschulen werden einer der beiden Optionen zugeordnet und erscheinen nicht als eigenständige Lösungen.
Haben Sie Interesse an Schulstatistik entdeckt? Falls Sie die hier referierten mit früheren Daten vergleichen möchten, können Sie solche auf der Webseite der Kultusministerkonferenz finden (KMK, 2005, 2014).
Falls Sie sich mit differenzierte Analysen und deren pädagogischer Interpretation befassen möchten, können Sie die älteren Analysen von Dietze (2011, 2012) oder die neueren Analysen von Dworschak (2017a, b) oder Scheer und Melzer (2020) studieren, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen.